H E I N R I C H S C H L I E F (07.01.1894 Soest – 13.07.1971 ebd.)
Weitere Werke von Heinrich Schlief
Verzückung (nach Wilhelm Morgner) (wohl um 1950-60)
Aquarell, Gouache über Bleistift auf festerem Velinpapier, verso an den beiden oberen Ecken befestigt auf hellen Karton, ungerahmt
unten rechts in Dunkelblau signiert „Schlief“
€ 1.900,-
Entstehungsjahr & Größe
undatiert [wohl um 1950-60];
Größe: 50 x 70,1 cm
Titel
ohne Titel [Verzückung (nach Wilhelm Morgner), das Werk steht in Zusammenhang mit einer Tuschzeichnung und einem Acrylgemälde, welche dieselbe Thematik aufgreifen (Abb. in Meisel-Kemper 2014: 266 (Abb. 241-242))];
Abbildungen der Katalogseiten sind unten angefügt.
Zustand
Blatt verso an den beiden oberen Ecken befestigt auf hellen Karton; Ecke oben links etwas knittrig und mit Quetschung; im Bereich oben links leichte Stauchung; die unteren beiden Ecken sehr leicht bestoßen; die Blattränder sehr leicht uneben zugeschnitten
Blatt verso (wohl bedingt durch den Malprozess) leicht farbfleckig
In den 1920er und frühen 1930er Jahren war Heinrich Schlief ein durchaus reger Künstler in Soest. Er nahm an Ausstellungen teil, wurde Mitglied in der „Vereinigung westfälischer Künstler“, lieferte Abbildungen für die „Soester Heimatkalender“ der Jahre 1926 und 1927.
„Danach [d.h. nach 1932] wurde es für einige Jahre still um Schlief. Von 1933 bis 1945 soll Schlief weder in den Akten des Stadtarchivs aufgetaucht sein noch in den vorhandenen Ausstellungsverzeichnissen […]. Schlief war weder Mitglied im Kunstring noch Mitglied in der ‚Reichskammer der Bildenden Künste‘. Letztere berechtigte zur Teilnahme an Ausstellungen unter den Nationalsozialisten. Da Schlief jedoch kein Mitglied war, konnte er auch nicht ausstellen. Die Beschlagnahmung von zwei Gemälden von Schlief Anfang September 1937 [1] aus städtischem Besitz mag den Künstler erst recht darin bestärkt haben, sich als Künstler aus dem Fous der nationalsozialistisch geprägten Umwelt zurückzuziehen. […] Erst 1951 konnte Heinrich Schlief dazu überredet werden, wieder auszustellen.“ [2]
Das vorliegende Werk wird, obgleich undatiert, in diese hier beschriebene Lebens- und Schaffensphase der Nachkriegszeit einzuordnen sein.
„Religiöse Darstellungen sind wichtige Motive im Gesamtwerk von Heinrich Schlief“ [3], doch ist es zugleich so, dass auch Werke mit solch religiösen Thematiken keinesfalls rein sakrale Arbeiten sind. Vielmehr ist es wie bei Schliefs Schaffen in toto die Farbe, die das Ganze bestimmt und durch die sich die Wirkung auf den Betrachter entfaltet.
Bei dieser Arbeit setzt Schlief klare, unvermischte Farbflächen nebeneinander, spielt so mit der dadurch erzeugten Spannung und beweist damit ebenso ein Verständnis für Farbzusammenhänge. Die komplementären Farbpaare Blau und Gelb bzw. Rot und Grün werden von dem Künstler wunderbar und prägnant eingesetzt und lassen in ihrer Wirkkraft sowohl an expressionistische Farbexplosionen der Brücke, wie auch an solch durchdachte Farbarbeiten wie von Adolf Hölzel denken. Und dennoch bewahrt sich Schlief hier eine überzeugende Eigenständigkeit, denn gegenüber den Expressionisten, ist die Formensprache viel ruhiger, und gegenüber u.a. Hölzels Werken, wirkt Schliefs Arbeit wie zufällig erspürt und gemalt, nicht wie theoretisch und strikt durchdacht.
Bezogen auf den Aufbau und das Motiv lässt sich aber noch der interessante Bezug zu Wilhelm Morgner feststellen, der von Schlief nachweislich sehr geschätzt wurde. Ganz konkret wird Schlief sich hier auf Morgners „Komposition Tempera X“ (1912) beziehen. In diesem Zusammenhang lassen sich noch eine Tuschzeichnung und ein Acrylgemälde nachweisen, welche ebenso diese Arbeit Morgners aufgreifen und neu umsetzen [4]. Sowohl die Tuschzeichnung, wie auch das Acrylgemälde und auch die vorliegende Arbeit unterscheiden sich jeweils voneinander und können zweifelsohne als eigenständige Kompositionen betrachtet werden. Während das ausformulierte Acrylgemälde ein Hochformat ist, bleibt Schlief im vorliegenden Werk beim Querformat, was dem Motiv, dessen Dichte und auch der Farbwirkung weit mehr entspricht.
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[1] Beschlagnahmt wurden hierbei keine Gemälde, sondern vielmehr die beiden Grafiken „Straße“ und „Haus Fromme“. Zudem erfolgte die Beschlagnahme nicht Anfang September 1937, sondern etwas zuvor bereits am 23. August 1937.
[2] Meisel-Kemper, Elvira (2014): Heinrich Schlief 1894-1971, Münster: Damwerth, S. 12-13.
[3] Ebd.: 123.
[4] Siehe hierzu ebd.: 266-267.
Zu Heinrich Schlief (07.01.1894 Soest – 13.07.1971 ebd.):
Maler, Zeichner, Grafiker, Sammler; Sohn des Fuhrunternehmers Mathias Schlief, der aus einer alteingesessenen Soester Familie stammt; 1899 verzog die Familie von der Paulihofe in ein Haus in die Ostenhofenstraße 13 und Schlief blieb dort bis zu seinem Tod wohnen; bereits in der Volksschule zeigte sich die besondere zeichnerische Begabung; eigentlich wollte Schlief Lehrer werden, begann dann aber auf Anraten seines Lehrers eine Ausbildung zum Vermessungstechniker an der Soester Baugewerbeschule; ab 1908 arbeitete er am Staatlichen Hochbauamt; 1907 hatte er eine einflussreiche Begegnung mit Christian Rohlfs und 1909 traf er auf Wilhelm Morgner, beide Bekanntschaften ließen in ihm die Wunsch wachsen Künstler zu werden; seine Eltern stellten sich jedoch dagegen und so begann Heinrich Schlief eine Tätigkeit als Vermessungstechniker bei der Bezirksregierung Arnsberg; neben seinem ‚Brotberuf‘ war er als autodidaktischer Maler und Zeichner; da er keine akademische Ausbildung hatte, wurden künstlerische Vorbilder sehr bedeutsam; im Ersten Weltkrieg war er Divisionsmaler und Pressezeichner an der Westfront; nach dem Krieg kehrte er nach Soest zurück und 1919-20 entstanden drei große Mappenwerke („Giebel und Gassen“, „Aus Soest´s großer Zeit“, „Aus der Soester Börder“); daneben sammelte Heinrich Schlief selbst Kunst, Münzen, religiöse Objekte; um 1920 entwarf er Münzen und Notgeldscheine; ab etwa 1920 erste Ausstellungsbeteiligungen; 02.09.1922 Heirat mit Emma Krabbe (1896-1971); 1932 Geburt des Sohnes Karl-Adolf; ab 1933 zog sich Schlief aus dem öffentlichen Kunstbetrieb zurück, er war kein Mitglied der „Reichskammer der bildenden Künste“, wodurch er auch nicht an Ausstellungen teilnehmen konnte; 1937 wurden zwei Druckgrafiken Schliefs aus dem Kunstbesitz der Stadt Soest als „entartet“ beschlagnahmt; Schlief blieb im Privaten weiterhin künstlerisch tätig; erst 1951 trat er aber wieder an die Öffentlichkeit mit seiner Kunst; 1953 lernte er den Schriftsteller Wilhelm Damwerth (Münster) kennen und der Kontakt blieb zeitlebens bestehen; 1959 ging Schlief als Vermessungstechniker in den Ruhestand; Studienreisen nach Amsterdam und Paris; im späteren Alter sichtete Schlief immer wieder sein Schaffen und zerstörte Werke, die seinem Anspruch nicht mehr entsprachen; nach dem Tod von Heinrich Schlief betreute dessen Sohn den Nachlass; ab 2004 richtete die Familie im Haus in der Osthofenstraße 13 eine Galerie mit Werken Schliefs ein; ab dieser Zeit begann die Wiederentdeckung des Künstlers, seine Werke waren bei Ausstellungen zu sehen und auch der Kunst- und Auktionsmarkt würdigte ihn
Mitgliedschaften: Vereinigung Westfälischer Künstler; Deutscher Kulturbund
Illustrationen: 1926/27 Zeichnungen im „Soester Heimatkalender“
Ausstellungen (Auswahl)
1922 Beteiligung an der Großen westfälischen Kunstausstellung, Gelsenkirchen; (wohl) 1924, große erste Einzelausstellung im Rahmen der 1.300-Jahr-Feier der Stadt Soest; 1930 Beteiligung mit neun Werken an der Ausstellung „Das junge schöne Soest“, Rathaus Soest; 1932 Beteiligung an einer Ausstellung im Rathaus, Soest; Juli 1959, Ausstellung zum 65. Geburtstag des Künstlers, Soest; 1961 Hellwegmuseum, Unna; 1978 Galerie Clasing, Münster; 2001 Galerie Kessler, Münster; 2009 Ministerium für Schule und Weiterbildung, Soest; 2010 Galerie Lindenstruth, Soest; 2010 Beteiligung an der Ausstellung „Der westfälische Expressionismus“, Kunsthalle Bielefeld; 2015 Retrospektive, Torhaus-Galerie des Stadtheimatbundes Münster e.V.; 2018 „Heinrich Schlief ‚Farbmusik‘“, Stadtmuseum und Kunsthaus Bocholt
Literatur (Auswahl)
„Allgemeines Künstlerlexikon“, Online-Version
Meisel-Kemper, Elvira (2014): Heinrich Schlief 1894-1971, Münster: Damwerth
1894-1971, Münster: Damwerth, S. 266-267