H E L M U T    M E Y E R – W E I N G A R T E N    (26.09.1911 Weingarten – 28.02.1994 Karlsruhe)

 

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„Stillleben mit blauen Krügen und blauem Teller“ (1977)

Öl auf Rupfen, Keilrahmen, gerahmt

unten rechts monogrammiert „M“, sowie verso signiert „H. Meyer-Wgt.“, sowie verso oben mittig auf Sammlungsetikett der KLV mit Künstlernamen bezeichnet

€ 2.300,-

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Titel
„Stillleben mit blauen Krügen und blauem Teller“ [hierzu verso vom Künstler betitelt „Blaue Krüge + blauem Teller“]

Datierung
unten rechts datiert „[19]77“, sowie verso nochmals ebenso datiert

Größe
Größe: 68,7 x 69 cm (ohne Rahmen) bzw. 76 x 76 cm (mit Rahmen)

Zustand
partiell leicht fleckig; an Rändern etwas berieben; vereinzelt minimale Verluste der Farbschicht
Keilrahmen verso etwas farbfleckig

Provenienz
Vormals Teil der Kunstsammlung der „Karlsruher Lebensversicherung AG“ (Friedrich-Scholl-Platz, Karlsruhe).
Hierzu verso oben mittig Sammlungsetikett mit handschriftlichen Angaben (Künstlername und Inv.Nr.), sowie unten rechts auf Rupfen und unten rechts auf Keilrahmen jeweils groß die Inv.Nr. („KLV0279B“)

 

 

„So erstaunt es nicht, dass Meyer-Weingarten auch eine umfangreiche Werkgruppe an Stillleben realisiert und sich mit diesem Bildthema selbst im hohen Alter noch regelmäßig beschäftigt hat. Auf kleinen Tischen sind die vertrauten und ständig verfügbaren Requisiten des alltäglichen Gebrauchs – Bücher, Zeitung, Obstschale, Blumenvase, Flaschen, Gläser, Teller und Tassen – sorgfältig arrangiert und in leichter Aufsicht dargestellt. Die abstrahierende Vereinfachung lässt die Gegenstände mehr als farbig-ornamentale Flächen mit betonten Konturen und weniger als räumlich-plastische Gebilde wirken. Doch handelt es sich hierbei nicht allein um malerische Meditationen über die einfachen Dinge des Lebens, ihre Vergänglichkeit und ihre Schönheit. Eng gefasste, nahsichtige Ausschnitte dominieren, im Hintergrund sind […] eigene Gemälde als ‚Bild im Bild‘-Zitate eingefügt […].“ [1]

Beim Entstehen dieses vorliegenden ‚blauen Stilllebens‘ war Helmut Meyer-Weingarten als Künstler bereits voll etabliert, was sich hier in der sicheren und zugleich eigenständigen farblichen und formalen Ausführung zeigt.
Es ist gerade eine solche ‚leichte Aufsicht‘ mit der wir als Betrachter auf dieses Arrangement blicken, welches der Künstler auf einem Tisch angeordnet hat. Ein kleiner, quadratischer Tisch wurde mit einer blauen Decke überworfen und auf dieser stehen nun drei ebenso blaue Krüge, sowie ein blauer Teller. Ein farbliches Detail bildet das weiße Tuch unten links und weiterhin, wenngleich deutlich subtiler, wirken die farblich differierenden Innenseiten der Krüge als signifikante Farbakzente – einmal ein Rotton, einmal ein helleres und einmal ein dunkleres Gelb.
Hinter dem Tisch findet sich nun zwar kein Gemälde als „Bild-im-Bild“, aber dafür sehen wir eine scheinbar zufällig angelehnte Grafik- bzw. Zeichenmappe aus der auch ein weißes Papier in Teilen herausschaut.

Von besonderer Bedeutung ist sicherlich die wohl überlegte Wahl des blauen Kolorits als dominierender Farbton. Die Ruhe, Melancholie, die oftmals mit dieser Farbe verbunden wird, mag auch hier vordergründig etwas Zutreffendes haben. Doch wird man zugleich auch noch den Aspekt des Mythischen, des Unerreichbaren in diesem satten, kräftigen Ton finden. Was vormals, das heißt insbesondere vor der Neuzeit, einen religiösen Charakter hatte, wurde im Späteren psychologisch auf den Menschen bezogen. Goethe hat es in seiner Farbenlehre folgendermaßen umschrieben:

„Diese Farbe [d.h. das Blau] macht für das Auge eine sonderbare und fast unaussprechliche Wirkung. Sie ist als Farbe eine Energie; allein sie steht auf der negativen Seite und ist in ihrer höchsten Reinheit gleichsam ein reizendes Nichts. Es ist etwas Widersprechendes von Reiz und Ruhe im Anblick. Wie wir den hohen Himmel, die fernen Berge blau sehen, so scheint eine blaue Fläche auch vor uns zurückzuweichen. Wie wir einen angenehmen Gegenstand, der vor uns flieht, gern verfolgen, so sehen wir das Blaue gerne an, nicht weil es auf uns dringt, sondern weil uns nach sich zieht.“

Der Ausdruck „etwas Widersprechendes von Reiz und Ruhe im Anblick“ mag hier auch auf dieses Stillleben zutreffen.
Unterstützt wird diese zwiespältige, innere Unruhe noch durch Aspekte des Bildaufbaus und der Formgebung. Dabei werden die runden Formen der Krüge einerseits gebrochen durch das Dasein des kleineren Tellers und andererseits bestehen auch Spannungen zu dem weißen Tuch links vorne, wie auch zu den Faltenwürfen in der blauen Tischdecke hinten links. Nirgendwo findet das Auge tatsächlich einen zentralen Ruhepol. – Vom Aufbau her besteht das Werk vornehmlich aus sich kreuzenden Diagonalen, es gibt keinen goldenen Schnitt, keine hauptsächliche Linie, die dem Auge als maßgeblich erscheinen könnte, alles scheint unruhig, um nicht zu sagen: es scheint zu kippen. Vom Kolorit her ist das Blau sicherlich dominierend, doch versteht es Meyer-Weingarten solch verschiedene Blautöne einzubeziehen, dass diese Vielfalt in sich wieder spannungsreich und alles andere als ruhevoll oder gar kontemplativ wirkt.

Ein solches Stillleben in vornehmlich einer Farbe auszuführen ist ohne Zweifel ein gewagtes Unterfangen. Dass es in dem vorliegenden Gemälde glückte, belegt das malerische Talent wie auch das Farbverständnis Helmut Meyer-Weingartens, wodurch diesem ganz klassisch traditionellen Sujet eine weitere, durchaus eigenständige und wirkmächtige Variation hinzugerechnet werden darf.

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[1] Merkel, Ursula (2011): Helmut Meyer-Weingarten. Gedanken zu Leben und Werk, in: Helmut Meyer-Weingarten zum 100. Geburtstag“, EnBW Energie Baden-Württemberg AG, Karlsruhe (Ausstellungskatalog), S. 9-12 [hier: 11-12].
[2] “Goethe’s sämmtliche Werke“, sechster Band, Stuttgart: Cotta 1863, S. 208-209.

 

 

Zu Helmut Meyer-Weingarten (26.09.1911 Weingarten – 28.02.1994 Karlsruhe):
Maler, Zeichner, Kunsterzieher; Sohn des Hauptlehrer Friedrich Johann Meyer (1877-1946); 1926-30 Lehre als Kunstglaser mit Gesellenprüfung; 1930-33 Bühnenbild-Studium an der Theater-Akademie des Badischen Staatstheaters Karlsruhe (bei Axel Torsten Hecht), sowie Studium (Bühnenbild, Malerei, Zeichnung) an der Badischen Landeskunstschule Karlsruhe (bei August Babberger und Karl Hubbuch); 1933 protestierte er öffentlich gegen die Entlassung seiner Lehrer Babberger und Hubbuch aus dem Lehramt und entwarf zudem noch diesbezügliche Karikaturen, so dass er wenig später auch aus der Badischen Landeskunstschule ausgeschlossen wurde; es folgten Hausdurchsuchungen durch die Gestapo; anfangs emigrierte er ins Saarland und war dort als Bühnenbildner und Schauspieler bei einer Passionsspieltruppe tätig; weiterhin arbeitete er zeitweise als Karikaturist unter den Pseudonymen Kurt Raden und Helm Frinson; 1935 nach der Saar-Abstimmung emigriert er nach Frankreich; 1935-36 in Paris ansässig und dort reger Umgang mit anderen Künstlern, was sich prägend auf sein Schaffen auswirkte; 1936 kehrte er, aufgrund einer allgemeinen Amnestie und auf Drängen der Eltern, nach Deutschland zurück; ab 1937 militärische Ausbildung in Wuppertal und währenddessen mehrere Verhöre durch die Gestapo; 1940-45 Kriegsdienst; 1943 wird bei einem Fliegerangriff der Großteil seines damaligen Schaffens zerstört; 1946 Rückkehr nach Karlsruhe (sein Atelier hat er in der Amalienstr. 67) und sofort beteiligt er sich am Wiederaufbau des kulturellen Lebens; um seinen Lebensunterhalt zu verdienen arbeitete er zuerst als Mal- und Zeichenlehrer bei den US-Streitkräften; 1947 Heirat mit der Tänzerin Lolo Dahlinger und in demselben Jahr Geburt des Sohnes Joachim; 1951 ist Meyer-Weingarten (neben u.a. Eugen Kühlewein, Max Haenger, Theo Moser und Emil Kritzky) Teil des gegründeten „Koordinierungsausschusses Bildender Künstler Deutschlands“, diesem gehörten sowohl west- als auch ostdeutsche Künstler an und die Intention bestand darin den Kontakt zwischen Künstlern aus West- und Ostdeutschland trotz der Teilung des Landes nicht abreißen zu lassen; 1954 übernimmt er in Nachfolge von August Kutterer die Leitung der Mal- und Zeichenklasse an der Volkshochschule Karlsruhe (diese Stellung hat er bis 1983); daneben ist Meyer-Weingarten als freischaffender Künstler tätig

Helmut Meyer-Weingarten malte vornehmlich Landschaften, Porträts, figürliche Kompositionen, Akte und Stillleben in expressiv realistischer Ausführung. In seinem späten Schaffen finden sich zudem abstrakte Tendenzen.

Mitgliedschaften
ab 1946 2. Vorsitzender des Verbands Bildender Künstler
1946 Gründungsmitglied des Bundesverbands Bildender Künstler
1948 Gründungsmitglied der „Jungen Gruppe Baden“

Preise
1981 Verleihung des Bundesverdienstkreuzes für sein künstlerisches und pädagogisches Wirken

Ausstellungen (Auswahl)
1950 „Badische Kunst der Gegenwart“, Badischer Kunstverein Karlsruhe
1981 „Kunst in Karlsruhe 1900-1950“, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe
1981 „Helmut Meyer-Weingarten zum 70. Geburtstag“, Städtische Galerie Karlsruhe
2011 „Helmut Meyer-Weingarten zum 100. Geburtstag“, EnBW Energie Baden-Württemberg AG, Karlsruhe

Literatur
Merkel, Ursula (Text) (2011): Helmut Meyer-Weingarten zum 100. Geburtstag“, EnBW Energie Baden-Württemberg AG, Karlsruhe (Ausstellungskatalog)
Mülfarth, Leo (1987): Kleines Lexikon Karlsruher Maler, Karlsruhe: Badenia, S. 213
Papenbrock, Martin (1996): „Entartete Kunst“ – Exilkunst – Widerstandskunst in westdeutschen Ausstellungen nach 1945. Eine kommentierte Bibliographie, Weimar: VDG, S. 498
Wirth, Günther (1987): Verbotene Kunst 1933-1945. Verfolgte Künstler im deutschen Südwesten, Stuttgart: Hatje, S. 317
„Allgemeines Künstlerlexikon“, Onlineversion