W A L T E R    B E C K E R    (01.08.1893 Essen – 24.10.1984 Tutzing)

 

Weitere Werke von Walter Becker

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Menagerie mit Fabelwesen (um 1920-25)
Tusche auf Bütten

€ 440,-

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Titel
ohne Titel [Menagerie mit Fabelwesen (wohl Illustration zu „Gargantua und Pantagruel“ von François Rabelais)]

Technik
Tusche auf Bütten

Signatur
unsigniert

Jahr
undatiert [um 1920-25]

Größe
Größe: 10,9 x 20,2 cm

Zustand
oberer und linker Rand mit leichten Abrissspuren, sowie leicht knittrig; leichte Druckstellen; verso leicht fleckig; verso unten links in Blei bez. „Inv. Nr. K2318“ (wohl nochmals eine interne Nummer des Museums Ettlingen)

Provenienz
1) um 1975-80, vom Künstler an das Museum Schloss Ettlingen [hierzu verso unten rechts diesbezüglicher Sammlungsstempel der „Karl-Albiker-Stiftung, Ettlingen“, sowie darunter die handschriftliche Inv.Nr. 544];
Der Bildhauer Karl Albiker (1878 Ühlingen – 1961 Ettlingen) war wie ein väterlicher Freund für Walter Becker. In Beckers früher Karlsruher Zeit (1915-18), schufen Becker, das Ehepaar Albiker und andere ein Puppentheater mit Figuren nach Franz von Pocci. Als Albiker an die Dresdner Akademie wechselte, ging Becker ihm anfangs nach und war von 1922-23 sein Meisterschüler. 1947 Gründung der Karl-Albiker-Stiftung.
Albiker besaß eine umfangreiche Kunstsammlung und darunter auch mehrere Werke Walter Beckers. Ein großer Teil der Karl-Albiker-Stiftung bildete den Grundstock für die Kunstsammlung des Museums Ettlingen.
Die Museumsgesellschaft Ettlingen plante um 1975 eine große Dauerausstellung zu Walter Becker in den Räumen des Ettlinger Schlosses. Aufgrund dessen gab der Künstler einen Großteil seiner Werke dorthin. Die Arbeiten auf Papier wurden dann in der Regel mit dem Stempel der Karl-Albiker-Stiftung versehen.
2) um 1985, von 1) zurück an den Nachlass des Künstlers
Da es nicht zu der geplanten Dauerausstellung kam, gingen die Objekte (darunter auch die vorliegende Tuschzeichnung) von Ettlingen zurück. Diese Zeichnung blieb fortan im Nachlass des Künstlers.

 

 

Die vorliegende Tuschzeichnung Walter Beckers zeigt eine merkwürdig phantastische Szenerie. Ein Mann steht am linken Bildrand und wendet sich an den Betrachter. Sein breiter, selbstbewusster Stand, die karierten Hosen, das Sakko und nicht zuletzt der an einen Zauberer erinnernde Hut, lassen diesen als Leiter innerhalb des Motivs erscheinen. Rechts im Bild versammelt sich eine Gruppe von Tier- und Fabelwesen [1]. Ein merkwürdiger Vogel mit einem großen Kopf, ein Hasen- und ein Katzentier, sowie ein Reh mit Flügeln und schließlich noch eine Ente. Hinter diesen Wesen ist nun ein Zelt aufgebaut, auf welches der Mann auch unmissverständlich einladend hinweist. Dieses Zirkuszelt ist noch geschlossen und die Aufführung wird wohl in Kürze starten. Über dem Eingang zeigt sich ein Textausschnitt, der sich lesen lässt als „Gargelantua und […]“.
Und damit ist dann auch ein konkreter Hinweis gegeben auf den Ursprung für diese Komposition, denn es dürfte sich dabei wohl um eine Illustration zu einem Teil des im 16. Jahrhundert entstandenen Romanzykluses „Gargantua und Pantagruel“ von François Rabelais handeln. Plausibel wird dies auch dadurch, dass sich mindestens eine weitere Tuschzeichnung mit einem solchen Bezug nachweisen lässt [2]. Ob Becker hier tatsächlich an Illustrationen für eine (nicht publizierte) Veröffentlichung arbeitete oder ob er dies nur als freie Kunststücke ansah ist unklar.
Weiterhin ergibt sich ein Bezug zu diesem Schriftwerk über Wilhelm Fraenger. 1918 kam Becker durch Wladimir von Zabotin und Rudolf Schlichter in Kontakt mit Fraenger und bereits im August 1918 war es Fraenger, der die erste Grafikausstellung Beckers im Heidelberger Kunstverein organisierte. Weiterhin hielt Fraenger oftmals Vorträge auf Ausstellungen der „Gruppe Rih“, bei der auch Becker in der Zeit von 1919-20 aktiv war. 1922 illustrierte Becker den Band „Der Bildermann von Zizenhausen“ von Fraenger.
Ein Interesse Fraengers zu dieser Zeit galt der Darstellung von Masken und Fratzen, vom Komischen und Skurrilen. Hierbei sind auch unbedingt die Bände seiner „Komischen Bibliothek“ zu erwähnen, welche im Eugen-Rentsch-Verlag erschienen. Neben der Beschäftigung mit Bruegel, Doré, Callot und Baudelaire, widmete Fraenger auch Rabelais einen Band [3].

Walter Becker war an sich ein sehr belesener Mensch, der zudem eine Liebe zu französischer Literatur hatte. Wenn er davor nicht bereits Rabelais kannte, so wird er durch Fraenger zweifelsohne auf diesen aufmerksam gemacht worden sein.
Vor diesem werksbiografischen Hintergrund kann diese vorliegende Zeichnung sicher in die Zeit der frühen 1920er Jahre eingeordnet werden.

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[1] Tiere als Motive tauchen in diesem frühen, avantgardistischen Schaffen Beckers immer wieder zentral auf. Siehe dazu bspw. die Abb. 154-156 in Hubert Portz (2008): Walter Becker. Frühe Werke 1914-1933; Edition Strasser.
[2] „Von des Gargantua Stammbaum“, Abb. in Portz 2008: 9.
[3] „Die trollatischen Träume des Pantagruel. Ein Holzschnitt-Fratzenbuch“ (1922).

 

 

Zu Walter Becker (01.08.1893 Essen – 24.10.1984 Tutzing):
Quelle: http://www.walter-becker.com/Maler, Zeichner, Grafiker; Sohn des Schmieds Eduard Becker und dessen Frau Johanna, geb. Eickmeyer; 1908 Tod des Vaters; 1910-13 Abendklasse an der Kunstgewerbeschule Essen; Ausbildung zum Gebrauchsgrafiker; 1914-15 Kriegseinsatz, wobei er den Winter 1914 aufgrund von Tuberkulose im Schwarzwald verbrachtete; 1915 wurde er dann als ‚Landsturmmann ohne Waffe‘ zum Wehrdienst eingezogen und als Wachmann am Alten Durlacher Bahnhof eingesetzt; aufgrund seiner labilen Gesundheit wurde er noch 1915 vom Kriegsdienst befreit; prägende Bekanntschaft mit Karl Albiker; 1915-18 Studium an der Kunstakademie Karlsruhe (bei Walter Conz); nach dem Ersten Weltkrieg wird Becker v.a. als Illustrator bekannt (Illustrationen u.a. zu Jean Paul: Jean Paul Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, daß kein Gott sei (Heidelberg, 1918); Nikolai Gogol: Der Mantel (Heidelberg, 1920); E. T. A. Hoffmann: Die Königsbraut (Potsdam, um 1920)); 1919-22 Entwürfe für die Karlsruher Majolika-Manufaktur; 1922-23 Studium an der Kunstakademie Dresden; Meisterschüler bei Karl Albiker; November 1923 Heirat mit Yvonne von König (Tochter der Malerin Mathilde Tardif und Adoptivtochter Leo von Königs); 1924-36 Wohnsitz in Südfrankreich (Cassis-sur-Mer), dort Bekanntschaft mit u.a. Georges Braque, Jules Pascin, Erika und Klaus Mann, Thomas Mann; 1936 Rückkehr nach Deutschland, dort zunächst in München, dann in Utting am Ammersee in dem Haus Bertolt Brechts ansässig, bevor ein Haus in Bühl (Baden) gebaut wird; 1937 werden 19 Arbeiten bei der Aktion „Entartete Kunst“ beschlagnahmt; 1937-38 Reise nach Florenz und Sienna; ab 1938 Wohnsitz in Tutzing, dort Bekanntschaft mit dem Cellisten Ludwig Hoelscher und dessen Frau Marion; 1941 Berufung als Professor an die Kunstakademie Karlsruhe, doch noch vor seinem Antritt wurde sein Atelier versiegelt und er wurde gezwungen von dem Vertrag zurück zu treten; 1951-58 Lehrer an der Kunstakademie Karlsruhe; 1952 Ernennung zum Professor; 1957 Tod der Ehefrau Yvonne; 1958 Pensionierung; 1958 Umzug nach Tutzing; 1968 fortschreitende Einschränkung der Sehkraft; 1974 Umzug in ein Seniorenstift in Dießen am Ammersee; ab 1976 erneuter Höhepunkt der Kreativität

Mitgliedschaften
1919-20 Karlsruhe, Gruppe Rih
(spätestens) 1928-36 und 1957-67 Deutscher Künstlerbund
1954-56 Pfälzische Sezession

Ab 1918 hatte Walter Becker zahlreiche Einzelausstellungen und Beteiligungen an Gruppenausstellungen.

Preise
1931 1. Kunstpreis der Stadt Hannover für das Portrait von Marcel Sauvage
1952 1. Preisträger der Internationalen Graphik Gilde Paris

Werken befinden sich u.a. im Besitz von den folgenden Sammlungen
Museum für aktuelle Kunst – Sammlung Hurrle, Durbach
Kunsthalle in Emden – Sammlung Henri Nannen
Städtische Galerie Bietigheim-Bissingen
Museum Folkwang, Essen
Städtische Galerie Ettlingen
Staatliche Kunsthalle Karlsruhe
Augustinermuseum, Freiburg
Sprengel Museum Hannover
Kunsthalle Würth, Schwäbisch Hall
Universitätsmuseum, Marburg
Kunsthalle Schweinfurt

Literatur (Auswahl)
Dollen, Ingrid von der (2015): Walter Becker 1893-1984 Malerei und Grafik; Edition Joseph Hierling; Tutzing
Jessewitsch, Rolf / Schneider, Gerhard (Hrsg.) (2008): Entdeckte Moderne. Werke aus der Sammlung Gerhard Schneider; Kettler; S. 476
Mülfarth, Leo (1987): Kleines Lexikon Karlsruher Maler; Badenia-Verlag; Karlsruhe; S. 23-24
Portz, Hubert (2008): Walter Becker. Frühe Werke 1914-1933; Edition Strasser
Schneider, Erich (Hrsg.) (2009): Expressiver Realismus. Die Sammlung Joseph Hierling [Schweinfurter Museumsschriften 166/2009]; Schweinfurt; S. 34
Zimmermann, Rainer (1994): Expressiver Realismus. Malerei der verschollenen Generation; Hirmer; München; S. 350
Kunst in Karlsruhe 1900-1950. Ausstellung der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe im Badischen Kunstverein 24. Mai – 19. Juli 1981; Müller (Karlsruhe); S. 148
Internetseite zum Künstler [walter-becker.com]