O S K A R    K U R T    D Ö B R I C H    (17.05.1911 Metz (Lothringen) – 31.10.1970 Münster)

 

Weitere Werke von Oskar Kurt Döbrich

 

 

„Geisterphantasie“ (1934)

Tusche auf Papier
unten rechts monogrammiert
unten rechts datiert „[19]34“

€ 920,-

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Titel
„Geisterphantasie“ [so verso auf einem kleinen Aufkleber handschriftlich betitelt, sowie darunter die Werksnummer „171“]

Größe
Größe: 22,8 x 18,1 cm

Zustand
Ecken etwas bestoßen; linker Blattrand mit leichten Abrissspuren
verso unten kleiner Aufkleber mit handschriftlicher Betitelung und Werksnummer

 

 

Die Familie von Döbrich wurde mit dem Kriegsausbruch 1914 aus Lothringen vertrieben und ließ sich im Münsterland nieder. Er wuchs in Münster auf und besuchte dort die Oberrealschule. Sein zeichnerisches Talent war bereits damals bekannt, er erhielt 1930 eine Urkunde für die beste Schülerzeichnung und 1933 wurde er mit der Ausführung der künstlerischen Gestaltung der Schulaula beauftragt [1]. Während dieser Zeit war er Mitglied bei den schulischen Arbeitsgemeinschaften „Zeichenzirkel“ und „Kunstbetrachtung“ mit denen er auch zahlreiche Wanderungen durch ganz Deutschland unternahm. Im Anschluss hieran studierte er zwischen 1933 und 1937 in Berlin (u.a. bei Georg Tappert und Karl Rössing). Gerade die Bedeutung Georg Tapperts als Vertreter der Moderne muss hier unterstrichen werden, wurde er doch bereits im Februar 1933 aus seinem Lehramt entlassen und nur auf Druck von Kollegen im Herbst 1933 wieder eingestellt, bevor er dann 1937 endgültig die Akademie verlassen musste.
In der Folge war er als Kunsterzieher tätig, wurde aber 1940 zum Kriegsdienst einberufen. 1944 erlitt Döbrich eine schwere Verletzung durch eine Panzergranate, geriet in russische Gefangenschaft und kehrte im Oktober 1946 nach Münster zurück.

Zu dieser Zeit schreibt Stephan Pastenaci:
„Döbrich hatte das Pech, in der Zeit des Nationalsozialismus seine Jugend zu verbringen. Äußerlich scheint er durch seine Mitgliedschaft in NS-Organisationen verstrickt in diese Zeit, innerlich jedoch war er widerständig und bemüht, ein aufrechter Mensch und Individualist zu bleiben. Dies wird in seinem künstlerischen Werk aus dieser Zeit mehr als evident.“ [2]

Bereits in den letzten Jahren seiner Schulzeit lassen sich Hinweise auf eine gewisse Affinität zu okkulten, esoterischen Themen finden. Beispielhaft ist die Zeichnung „Spuk im Mondschein“ (1930) zu nennen [3].
Aber besonders in den Jahren 1933-34, also in der frühen Berliner Zeit, zeigt sich eine signifikant hohe Anzahl an Zeichnungen mit einem deutlich esoterischen bzw. okkulten Inhalt. Möglicherweise hat der Studienbeginn und sein damit verbundener Umzug nach Berlin sein Interesse an diesen Themen verstärkt. Vielleicht kam er in Kontakt mit anderen Studenten, Künstlern, die ebenso eine diesbezügliche Neigung hatten? Und vielleicht hat er sogar ausprobiert, wie sich Drogen auf seine Kunst auswirken; dies zumindest lassen manche Werke mit Opium-Bezug erahnen.

Diese vorliegende Zeichnung entstand 1934 und ist damit eine dieser mysteriösen Werke.
Wir sehen hier eine modern gestaltete Deckenlampe, an der ein seltsames, abstoßendes Wesen hängt. – Eine Art Mischwesen zwischen Mensch und Tier. Eine Hand und ein Fuß sind definitiv menschlich, während die Gegenstücke eher an einen Vogel denken lassen, so dass unweigerlich die Harpyie in den Sinn kommt. Der Kopf dieses gezeigten Mischwesens ist sicherlich menschlich, doch erinnert die Physiognomie doch auch mehr an Wesen aus Fabeln oder Mythen. – Der große, zahnlose Mund mit der gespaltenen Zunge verweist hierbei wohl auf die Schlange. Und der gesamte Körper dieses Wesens scheint ein kurzes, von Ornamenten geschmücktes, Kleidungsstück zu tragen.

Oskar Kurt Döbrich überwindet mit dieser Darstellung sicherlich die natürlichen physischen Grenzen. Und mit diesem Schritt, fügt er sich zugleich ein in eine Tradition von Künstlern, die mit der Darstellung von Mischwesen, diese gedankliche „Grenzüberschreitung“ künstlerisch umsetzten. In diesem Fall können wir wohl besonders denken an Darstellungen einer Sphinx, Harpyie oder Chimaira.
Es ist nun nicht klar, ob Döbrich seine „Geisterphantasie“ rein auf Basis seiner eigenen Phantasie schuf, oder ob er vielleicht unter Drogeneinfluss stand, oder vielleicht einen Fiebertraum durch diese Zeichnung künstlerisch verarbeiten wollte.
Auf alle Fälle schuf er eine ungemein faszinierende, rätselhafte Komposition, die sich auf eine sehr eigenständige, moderne Weise in die Tradition des „Mischwesen“-Topos einfügt.
Und darüber hinaus muss unbedingt beachtet werden, dass Döbrich dieses Werk 1934 zeichnete. Die Nationalsozialsten waren zu dieser Zeit seit mehr als einem Jahr an der Macht. Und obgleich sich natürlich die Kunstpolitik noch keinesfalls vereinheitlichte, noch keine klar vorgegebene Linie erkennbar war, so ist doch sicher, dass eine derartige Zeichnung schon damals das Missfallen kulturpolitischer Kreise erregt hätte.

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[1] Im Krieg wurde das großformatige Werk zerstört, so dass nur noch s/w-Fotos vorliegen.
[2] Stephan Pastenaci (2015): Das künstlerische Werk. “Ich bin angekettet im goldenen Käfig”, in: Hengstenberg, Thomas (Hrsg.): Oskar Kurt Döbrich. Das Leben als große Wanderung; Bönen: Kettler, S. 15-21 [hier: 15].
[3] Und weiterhin gibt es noch eine kleine Notiz von 1933 auf einem Schreiben Döbrichs an seine damalige Schulleitung, welches er verfasste, um für die Abschlussprüfungen zugelassen zu warden. Und diese kleine Notiz lautet interessanterweise: „Im Schatten passiert alles“ und daneben finden sich weitere, skizzenhaft hingeworfene, teilweise mit Linien verbundene Termini wie „Gott“, Licht“, „Schatten“.

 

 

Zu Oskar Kurt Döbrich (17.05.1911 Metz (Lothringen) – 31.10.1970 Münster):
Maler, Grafiker, Zeichner, Kunsterzieher; 1914 Vertreibung der Familie aus Lothringen, kurzzeitiger Aufenthalt in Bad Ilmenau und hierauf Umzug ins Münsterland; 1917-22 Besuch verschiedener Volksschulen in Höxter, Emsdetten und Münster; 1922-33 Besuch der Oberrealschule in Münster; zu dieser Zeit Mitglied bei den schulischen Gruppen „Zeichenzirkel“ und „Kunstbetrachtung“ mit denen er auch zahlreiche Wanderungen durch ganz Deutschland unternahm; 1930 wurde er mit einer Urkunde für die beste Schülerzeichnung geehrt; 1933 Ausführung der künstlerischen Gestaltung der Aula in der Oberrealschule Münster (heute: Johann-Conrad-Schlaun Gymnasium); Abitur und anschließender Arbeitsdienst im Münsterland; 1933-37 Studium an der Staatlichen Hochschule für Kunsterziehung Berlin (bei Bernhard Hasler, Georg Tappert, Karl Rössing); Beginn der Freundschaft mit Otto Pankok, der sein Förderer wurde; 1936 Werklehrerexamen; 1937-38 arbeitete er als Werkkursleiter bei Magnus Zeller; 1938-39 Studium der Zoologie und Botanik an der Universität Münster; 1939-40 Referendarzeit in Dortmund und Naumburg; 1940 Kriegsdienst in Polen und Russland; 1941 Heirat mit Charlotte, geb. Klaus, in Weißenfels; 1944-45 schwere Verwundung und Gefangenschaft; 1944 Geburt der Tochter Dagmar; 1946 erneutes Aufnehmen der, durch Peter August Böckstiegel vermittelten, Freundschaft mit Conrad Felixmüller; es entstehen zwei Buchillustrationen für den „Drei Eulen“-Verlag von Hulda Pankok; 1947-49 Gelegenheitsarbeiten als Dekorateur und Restaurator für die Galerie Clasing (Münster); 1949-52 Lehrer am Dionysianum in Rheine; 1950 Geburt der Tochter Beate; 1952-54 Lehrer am Paulinum-Gymnasium in Münster; 1954-70 Lehrer am Schiller-Gymnasium in Münster; 1958 Geburt der Tochter Bettina

Einzelausstellungen
1935 Kleiner Raum Clasing, Münster (zus. mit Werner Gilles)
1948 Galerie Clasing, Münster (zus. mit Hans Kranefeld, Ernst Hermanns)
1977 Gedächtnisausstellung, Deutsche Bank, Münster
2009 „Oskar Kurt Döbrich. Ausgewählte Werke“, Kunstkontor Dr. Doris Möllers, Münster
2011 Ausstellung zum 100. Geburtstag, Stadtmuseum Münster
2015 „Das Leben als große Wanderung“, Haus Opherdicke, Holzwickede

Werke Oskar Kurt Döbrichs finden sich u.a. in folgenden Sammlungen: Sammlung Frank Brabant, Wiesbaden; Stadtmuseum Münster; BikiniARTmuseum, Bad Rappenau

Literatur (Auswahl)
Hengstenberg, Thomas (Hrsg.) (2015): Oskar Kurt Döbrich. Das Leben als große Wanderung; Bönen: Kettler
Rittmann, Annegret: Oskar Kurt Döbrich, in: „Allgemeines Künstlerlexikon“, Onlineversion