O S K A R    K U R T    D Ö B R I C H    (17.05.1911 Metz (Lothringen) – 31.10.1970 Münster)

 

Weitere Werke von Oskar Kurt Döbrich

 

 

„…geh nur, ein Engel wird immer bei Dir sein“ (1947)

Tuschfeder auf Büttenpapier, ungerahmt
unten rechts signiert „Döbrich“

€ 1.100,-

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Entstehungsjahr
unten rechts datiert „[19]47“

Titel & Größe
vom Künstler unten links betitelt „…geh nur, ein Engel wird immer bei Dir sein“, Werkverzeichnis: Nr. 593
Größe: 20,8 x 30,4 cm

Zustand
leichte Druckstellen im Blatt; Ecken leicht bestoßen; Blattränder mit leichten Abrissspuren; in den Randbereichen sehr leicht nachgedunkelt
verso im oberen Bereich zwei Klebereste aufgrund früherer Befestigung

Provenienz
Aus dem Nachlass des Künstlers

 

 

Die Familie von Döbrich wurde mit dem Kriegsausbruch 1914 aus Lothringen vertrieben und ließ sich im Münsterland nieder. Er wuchs in Münster auf und besuchte dort die Oberrealschule. Sein zeichnerisches Talent war bereits damals bekannt, er erhielt 1930 eine Urkunde für die beste Schülerzeichnung und 1933 wurde er mit der Ausführung der künstlerischen Gestaltung der Schulaula beauftragt [1]. Während dieser Zeit war er Mitglied bei den schulischen Arbeitsgemeinschaften „Zeichenzirkel“ und „Kunstbetrachtung“ mit denen er auch zahlreiche Wanderungen durch ganz Deutschland unternahm. Im Anschluss hieran studierte er zwischen 1933 und 1937 in Berlin (u.a. bei Georg Tappert und Karl Rössing). In der Folge war er als Kunsterzieher tätig, wurde aber 1940 zum Kriegsdienst einberufen. 1944 erlitt Döbrich eine schwere Verletzung durch eine Panzergranate.
„Aus russischer Kriegsgefangenschaft wurde er [im] Oktober 1946 entlassen und kehrte nach Münster zurück. Dabei hatte er eine kleine Ikone im Gepäck, die ihm ein russischer Soldat zum Dank dafür geschenkt hatte, dass er bei einem medizinischen Eingriff mit seinen guten Biologie- und Anatomiekenntnissen entscheidend geholfen hatte.“ [2]

Döbrich bekam in der frühen Nachkriegszeit vor allem Gelegenheitsarbeiten, die Festanstellung als Lehrer folgte erst etwas später. So schuf er Illustrationen für Hulda Pankoks „Drei Eulen“-Verlag und daneben arbeitete er als Dekorateur und Restaurator für die Galerie Clasing in Münster, die ihn zudem in seinem künstlerischen Schaffen unterstützte. Privat beschäftigte er sich damals eingehend mit der Kunstgeschichte, was ihm in seinen Jahren als Dozent sehr zugute kam. Diese kunstgeschichtliche Auseinandersetzung ist auch im vorliegenden Werk deutlich zu erkennen.

Die hiesige Zeichnung ist in diese frühe Nachkriegszeit einzuordnen. Döbrich schuf hier ein surreales, verschachteltes, äußerst inhaltsreiches Zeugnis eines sehr feinfühligen Künstlermenschen.
Das Werk macht zweifelsohne einen religiösen Eindruck, wobei dies nicht unbedingt christlich konfessionell verortet werden muss. Das kleine Mädchen rechts, das vom Gang, den Schuhen und dem Rock schon recht erwachsen wirkt, wird von einer Person geführt. Dabei erscheint es so, als ob das Mädchen mit seinen tiefschwarzen Augen blind ist und in den Händen hält es wohl auch eine Art Wünschelrute. Die führende Gestalt (der Engel?) hat selbst ein verhülltes Gesicht und vielleicht darf man hier an die Mondgöttin Luna denken. Hierauf könnte dann auch die kleine Fahne mit der Mondsichel, die aus dem Haus hängt, verweisen. Zudem erinnert diese verhüllte Gestalt an Döbrichs Linoldruck „Die Nacht“ (WV 589). Während das Mädchen deutliche Ähnlichkeit aufweist zu der jungen Frau bei den großartigen „Siderische Pendel“-Werken.

Das Mädchen hat also nun diesen geschlängelten Pfad vor sich, der sicherlich als Symbol für den Lebensweg verstanden werden kann. Es werden hier wohl besonders die Gefahren sexueller Ausschweifungen dargestellt. Und ganz konkret sind diese Ausschweifungen von Gott entfernt bzw. haben die Verbindung zu ihm verloren, wie der Trichter links gedeutet werden kann. Dieser wurde in diesem Sinne von Hieronymous Bosch, beispielsweise in dem Werk „Steinschneider“, als ein solches Symbol der Gottesferne etabliert. Der bloße Hedonismus und – wie es auf dem Zettel im linken Bildteil heißt – „Torheit, Spass, Abenteuer“ sind demnach von Gott entfernte Praktiken, die das Mädchen nicht zum Ziel führen. Aber aus dem Trichter kommt mächtig Dampf und vielleicht ist es dieser Dampf, der alles verdunkelt und alles verschleiert.
Auch das Wesen im vorderen Bereich erinnert an Bosch, aber man kann, gerade bei dieser komischen Sitzhaltung, auch an das Werk „Der Esel in der Schule“ von Pieter Bruegel d.Ä. denken. In beiden Fällen verweist dies auf Döbrichs intensive kunsthistorische Studien in jenen Jahren der frühen Nachkriegszeit.

Ganz im Hintergrund könnte vielleicht das Ziel der Reise liegen. Könnte es eine Symbolik für Gottvater sein? Die von seinem Kopf ausgehenden Kreise könnten darauf hindeuten, dass er alles erschuf, alles erdachte. Jetzt aber scheint er zu schlafen, seine Augen sind geschlossen. Es herrscht also eine temporäre(!), aber keine absolute, Gottlosigkeit und selbst der Himmel scheint darüber zu weinen, wie die Tränen am oberen Rand rechts vielleicht andeuten. Aber dennoch besteht hier Hoffnung, wie nicht zuletzt auch der Bildtitel belegt.

Bezogen auf den zeitgeschichtlichen Kontext dürften hier den Künstler, damals selbst Vater einer kleinen Tochter, insbesondere die Gefahren sexueller Ausschweifungen für Mädchen und junge Frauen beschäftigt haben. Die damit unweigerlich verbundene Frage der Prostitution und der Umgang damit war zweifelsohne ein deutschlandweites Problem.

„Prostitution stand in der Nachkriegszeit in Deutschland nicht unter Strafe, wurde jedoch stark kontrolliert. Einhergehend mit Nahrungsmittelknappheit und Armt boten viele Frauen sexuelle Dienstleistungen schon für wenig Geld oder wenige Güter an. Gleichzeitig wurden alle die Frauen und Mädchen von der Fürsorge zu möglichen Prostituierten erklärt, die keinen festen Wohnsitz hatten oder mit Soldaten gesehen wurden. Vor allem der Kontakt mit nicht-deutschen Soldaten wurde als Gefährdung angesehen. Diese Entwicklung wurde vor allem von der Fürsorge als Sittenverfall und moralische Gefahr angesehen und stärkere Kontrollen wurden eingefordert. In der Folge wurden sehr viele Personen festgenommen, wobei die häufigen Fehlgriffe teilweise zu Kritik aus der Bevölkerung führten.“ [3]

Eine ungemein dichte, inhaltsreiche und zeichnerisch brillant ausgeführte Komposition, die als ein überaus eigenständiger Beitrag zur unmittelbaren Nachkriegskunst in Deutschland gesehen werden kann.

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[1] Im Krieg wurde das großformatige Werk zerstört, so dass nur noch s/w-Fotos vorliegen.
[2] Georg Eggenstein (2015): Ein Künstlerleben in schwieriger Zeit, in: Hengstenberg, Thomas (Hrsg.): Oskar Kurt Döbrich. Das Leben als große Wanderung; Bönen: Kettler, S. 29-36 [hier: 31].
[3] Nele Bastian / Katrin Billerbeck (2009): Prostitution als notwendiges Übel? Analyse einer Dienstleistung von Stigmatisierung und Selbstermächtigung, Marburg: Tectum, S. 22.

 

 

Zu Oskar Kurt Döbrich (17.05.1911 Metz (Lothringen) – 31.10.1970 Münster):
Maler, Grafiker, Zeichner, Kunsterzieher; 1914 Vertreibung der Familie aus Lothringen, kurzzeitiger Aufenthalt in Bad Ilmenau und hierauf Umzug ins Münsterland; 1917-22 Besuch verschiedener Volksschulen in Höxter, Emsdetten und Münster; 1922-33 Besuch der Oberrealschule in Münster; zu dieser Zeit Mitglied bei den schulischen Gruppen „Zeichenzirkel“ und „Kunstbetrachtung“ mit denen er auch zahlreiche Wanderungen durch ganz Deutschland unternahm; 1930 wurde er mit einer Urkunde für die beste Schülerzeichnung geehrt; 1933 Ausführung der künstlerischen Gestaltung der Aula in der Oberrealschule Münster (heute: Johann-Conrad-Schlaun Gymnasium); Abitur und anschließender Arbeitsdienst im Münsterland; 1933-37 Studium an der Staatlichen Hochschule für Kunsterziehung Berlin (bei Bernhard Hasler, Georg Tappert, Karl Rössing); Beginn der Freundschaft mit Otto Pankok, der sein Förderer wurde; 1936 Werklehrerexamen; 1937-38 arbeitete er als Werkkursleiter bei Magnus Zeller; 1938-39 Studium der Zoologie und Botanik an der Universität Münster; 1939-40 Referendarzeit in Dortmund und Naumburg; 1940 Kriegsdienst in Polen und Russland; 1941 Heirat mit Charlotte, geb. Klaus, in Weißenfels; 1944-45 schwere Verwundung und Gefangenschaft; 1944 Geburt der Tochter Dagmar; 1946 erneutes Aufnehmen der, durch Peter August Böckstiegel vermittelten, Freundschaft mit Conrad Felixmüller; es entstehen zwei Buchillustrationen für den „Drei Eulen“-Verlag von Hulda Pankok; 1947-49 Gelegenheitsarbeiten als Dekorateur und Restaurator für die Galerie Clasing (Münster); 1949-52 Lehrer am Dionysianum in Rheine; 1950 Geburt der Tochter Beate; 1952-54 Lehrer am Paulinum-Gymnasium in Münster; 1954-70 Lehrer am Schiller-Gymnasium in Münster; 1958 Geburt der Tochter Bettina

Einzelausstellungen
1935 Kleiner Raum Clasing, Münster (zus. mit Werner Gilles)
1948 Galerie Clasing, Münster (zus. mit Hans Kranefeld, Ernst Hermanns)
1977 Gedächtnisausstellung, Deutsche Bank, Münster
2009 „Oskar Kurt Döbrich. Ausgewählte Werke“, Kunstkontor Dr. Doris Möllers, Münster
2011 Ausstellung zum 100. Geburtstag, Stadtmuseum Münster
2015 „Das Leben als große Wanderung“, Haus Opherdicke, Holzwickede

Werke Oskar Kurt Döbrichs finden sich u.a. in folgenden Sammlungen: Sammlung Frank Brabant, Wiesbaden; Stadtmuseum Münster; BikiniARTmuseum, Bad Rappenau

Literatur (Auswahl)
Hengstenberg, Thomas (Hrsg.) (2015): Oskar Kurt Döbrich. Das Leben als große Wanderung; Bönen: Kettler
Rittmann, Annegret: Oskar Kurt Döbrich, in: „Allgemeines Künstlerlexikon“, Onlineversion