E W A L D J O R Z I G (14.02.1905 Lütgen-Dortmund – 20.02.1981 Tirol)
„Middelburg“ (Januar 1941)
Öl, Gouache, Tempera auf grober Leinwand, gerahmt [nicht Originalrahmen]
€ 5.900,-
Titel
„Middelburg, Januar 1940[sic] [1]“ [so betitelt bei der „Großen Deutschen Kunstausstellung 1941“];
Gezeigt wird ein Blick auf die Neue Kirche und den Langen Jan nach der Zerstörung im Mai 1940.
Technik
Öl, Gouache, Tempera auf grober Leinwand, gerahmt [nicht Originalrahmen]
Signatur
unten rechts signiert „E. Jorzig“
Jahr
undatiert [Januar 1941];
In dem Münchner Ausstellungskatalog wird das Gemälde im Titel datiert mit „Januar 1940“, was aber sicherlich irrig ist und „Januar 1941“ hätte lauten müssen.
Größe
Größe: 121 x 176 cm (ohne Rahmen) bzw. 138,5 x 193,5 cm (mit Rahmen)
Zustand
insgesamt etwas fleckig; durchgehend leichte Craquelé-Bildung; oben links kleine Beschädigung der Leinwand (wurde überarbeitet und retuschiert); über das Bild gehend mehrere (sehr) kleine Verluste der Farbschicht; die Leisten des Keilrahmens drücken recto leicht durch; Leinwand verso etwas fleckig; verso auf Keilrahmen nummeriert „Bl. M. 1727“ [2]
Ausstellung
26.07.1941-08.03.1942, „Große Deutsche Kunstausstellung 1941“, München [„Haus der Deutschen Kunst“], Nr. 505, Saal 13.
(gdk-research.de/de/obj19364069.html)
Literatur
Bruno Kroll: Zur Deutschen Kunstausstellung in München 1941, in: Moras, Joachim (Hrsg.): „Europäische Revue“, Heft 10 (Oktober 1941), Stuttgart – Berlin: Deutsche Verlagsanstalt, S. 641-644 [hier: 642] – Unterstreichung durch Verf. (siehe Abb. unten)
„Andere Werke künden von den grausamen Spuren, von den trostlosen Verwüstungen dieses totalen Krieges. Auch hier sei nur einiges aus der großen Fülle genannt: die von den Franzosen zerstörte Stadt ‚Gien‘ von R. Feldmeyer, die ‚Tote Stadt‘ von Jos. Buggle-Berlin, ‚Middelburg‘ von Ew-Jorzig-Düsseldorf, das ‚Inferno von Dünkirchen‘ von A. Ahrens und die ‚Kathedrale von Rouen‘, die unversehrt über den Trümmern der Umgebung sich erhebt, von H. Ammersdorffer-Berlin.“
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[1] Die Datierung auf das Jahr 1940 ist sicherlich falsch bzw. eine Druckfehler im Katalog. Der korrekte Bildtitel müsste vielmehr lauten: „Middelburg, Januar 1941“. Am 1. Januar 1941 begann die „Stichting Herbouw Middelburg” mit den Arbeiten des Wiederaufbaus von Middelburg, so dass Ewald Jorzigs Gemälde hier den Beginn dieser Wiederaufbauarbeiten festhält.
[2] Diese Nummer wird wahrscheinlich eine Wiederholung der “Kisten”-Nummer sein, welche bei der Einlieferung zur “Großen Deutschen Kunstausstellung” 1941 vergeben wurde. Gerade die “Kisten”-Nummern wurden neben dem Einlieferungsetikett oftmals bei Gemälden auch noch auf den Keilrahmen geschrieben.
Ewald Jorzig studierte an der Kunstgewerbeschule Essen und an der Düsseldorfer Kunstakademie. Zahlreiche Studienreisen führten ihn durch Deutschland und Europa, wobei schon früh seine Bevorzugung bei Landschafts- und Menschendarstellungen lag. So gehörte er „in den 1930er Jahren zu den erfolgreichen Landschafts- und Porträt-Malern und wurde in allen größeren Ausstellungen der Bochumer Gemäldegalerie gezeigt” (Susanna Partsch). Neben die Sujets Landschaft und Porträt kam nach einiger Zeit noch das Zeigen von zumeist größeren Industriebetrieben hinzu.
Der in Düsseldorf lebende Künstler erhält 1932 den renommierten Dürer-Preis der Stadt Nürnberg und kann im selben Jahr eine Einzelausstellung in der Düsseldorfer Akademie vorweisen. Sein künstlerischer Ausdruck ist expressiv realistisch und zeigt deutlich seine Zugehörigkeit zu einer starken rheinländischen Künstlergeneration der Moderne der, neben zahlreichen anderen, auch beispielsweise Carl Barth, Eugen Kerschkamp, Robert Pudlich, Ernst Schumacher-Salig, Bernhard Templin angehören.
Im Dritten Reich ist Jorzig als Künstler durchaus etabliert, da seine schon vor 1933 erarbeitete Stellung als herausragender Maler von Landschafts-, Industrie- und Menschenmotiven, auch weiterhin auf Nachfrage trifft. Demzufolge kann er auch zahlreiche Ausstellungen beschicken und 1937 sogar auch eine Einzelausstellung im Kunstverein Düsseldorf präsentieren. Pikanterweise ist es dann auch genau dieses Jahr in dem das Gemälde “Straße in winterlicher Stimmung” aus dem Bestand der Städtischen Galerie Nürnberg als “entartet” beschlagnahmt wird. Eine offenkundige Ambivalenz für die Ewald Jorzig ohne Zweifel nur ein Beispiel unter vielen ist.
Dass Ewald Jorzig auch damals noch als ein Vertreter der Moderne betrachtet wurde, zeigt sich nicht zuletzt 1943 bei seiner Beteiligung an der umfassenden, wichtigen und (notabene!) vorzeitig beendeten Wiener Ausstellung „Junge Kunst im deutchen Reich“, an der Werke gezeigt wurden von u.a. Eduard Aigner, Walter Becker, Hubert Berke, Theo Champion, Otto Geigenberger, Richard Gessner, Josef Hegenbarth, Tom Hops, Paul Kälberer, Bruno Müller-Linow, Josef Karl Nerud, Otto Niemeyer-Holstein, Will Sohl, A. Paul Weber.
Nach dem Zweiten Weltkrieg ist Jorzig stark im kulturellen Wiederaufbau engagiert, wird Mitglied in der „Westfälischen Sezession“ und beteiligt sich an deren und auch an anderen Ausstellungen.
Dieses großformatige Gemälde entstand im Frühjahr, ganz konkret: im Januar, 1941. Jorzig zeigt hier einen Blick auf das zerstörte Stadtzentrum von Middelburg in den Niederlanden. Explizit sind hier die Neue Kirche und der markante Lange Jan zu sehen. Die katastrophale Zerstörung dieser historischen Gemeinde Zeelands mit ihren zahlreichen Baudenkmälern ereignete sich im Mai 1940. Ab Januar 1941 wurde mit den Wiederaufbauarbeiten begonnen. Und dass Jorzig nun dieses Gemälde eben in jenem Monat malte dürfte darauf verweisen, dass er aus künstlerisch dokumentarischen Gründen die Zerstörungen festhalten wollte.
Bereits wenige Monate später wurde das Gemälde bei der „Großen deutschen Kunstausstellung“ des Jahres 1941 im Saal 13 präsentiert.
Jorzigs Gemälde mit dem kriegszerstörten Middelburg wirkt in Gemeinschaft mit den anderen Kriegs-, und Militärdarstellungen in diesem Saal auffallend deplatziert, da dies alles andere als ein typisches Bild für die „Großen deutschen Kunstausstellungen“ ist. Weder entspricht es dem gängigen Publikumsgeschmack, der sich vor allem nach Landschaften, Akten und Genredarstellungen sehnte, noch finden sich hier Elemente einer politischen Heroisierung oder sonstigen Idealisierung von Bauerntum, Familie, Militär. Jorzig hält hier vielmehr auf eine verhalten expressive Weise, einem „unbeteiligten Beobachter“ gleich, deskriptiv die Kriegszerstörung einer niederländischen Gemeinde fest. Deutsche Soldaten sind im Bild nicht zu sehen und auch sonst zeigt Jorzig keinerlei militärische oder gar politische Symbolik, was sicherlich ein beachtenswerter Aspekt ist. So ganz menschenleer ist die Szenerie aber dann doch nicht, da wenige kleine Figuren durch die Straßen und Gassen gehen, was auf die notgedrungene Weiterführung des menschlichen Alltagslebens schließen lässt. Ein Alltag der nun äußerlich geprägt ist von den jahrhundertealten, jetzt zerstörten Wahrzeichen Middelburgs. Die gesamte Szenerie liegt dabei unter einem beinahe monochromen, trist gräulichen Wolkenhimmel.
Es ist eine merkwürdige Empfindung der Beklemmung und der Niedergeschlagenheit, die Jorzig hier vermittelt. Gerade der zerstörte Sakralbau mit dem eingestürzten Dach wirkt dabei wie eine Mahnung und eine Warnung, um einzusehen was Krieg anrichtet.
Aus heutiger Sicht ist es durchaus erstaunlich, um nicht zu sagen: verwunderlich, dass dieses „Middelburg“-Gemälde den Weg in die „Große deutsche Kunstausstellung“ fand. Gerade dem Motiv nach, aber auch aufgrund der dezent expressiven Ausführung und des zurückhaltenden, tonigen Kolorits wegen, würde sich eine Präsentation dieses Gemäldes bei jener Schau sicherlich nicht nahelegen. Und vielleicht ist es gerade diese damalige „Unzeitgemäßheit“, welche das Werk auch heute noch sprechen lässt; vielleicht liegt die große Leistung Jorzigs darin, dass er die historische Zerstörung eben auf eine ahistorische Weise darstellt – ohne symbolhafte Gebundenheit an die damalige Zeit und ebenso auch ohne gefühlsmäßige oder stilistische Anbiederungen an die den Künstler umgebene Zeit. Erst hierdurch wird späteren Betrachtern ein freier Blick ohne vorschnelle Kategorisierungen, dafür aber mit einer jeweils eigenen Interpretation, möglich.
Wenn oben bereits die Ambivalenz zwischen reger Ausstellungstätigkeit Jorzigs zum einen und Beschlagnahme bei der Aktion “entartete Kunst” zum anderen angesprochen wurde, so mag man in diesem großformatigen Gemälde mutatis mutandis ebenso eine solche Ambivalenz erkennen, welche dann in der Beteiligung bei der damals größten, publikumswirksamsten Kunstausstellung einerseits und der unzeitgemäßen künstlerischen Darstellung andererseits besteht. Da das Gemälde ja de facto gezeigt wurde, besteht zwischen dem Werk und der “Großen deutschen Kunstausstellung” eine tatsächliche Verbindung. Nichtsdestotrotz besitzt das Werk aber so viele Aspekte, welche vorderhand gegen eine solche Verbindung sprächen, so dass man sicherlich nicht fehlgeht oder übertreibt, wenn man dieses Werk als einen Sonderling oder gar als einen Fremdkörper innerhalb der damaligen Schau betrachtet, was die tatsächliche, nämlich unzeitgemäße Relevanz des Werkes nochmals anschaulich unterstreicht.
Zu Ewald Jorzig (14.02.1905 Lütgen-Dortmund – 20.02.1981 Tirol):
Maler, Zeichner, Grafiker; Studium an der Kunstgewerbeschule Essen und an der Kunstakademie Düsseldorf (bei Ludwig Heupel-Siegen (Zeichenklasse) und Carl Ederer (Gebrauchsgrafik und Typographie)); zahlreiche Reisen durch Europa; um 1930-40 ist Jorzig ein erfolgreicher Landschafts- und Porträtmaler im Rheinland; Jorzig war ansässig und tätig in Düsseldorf (Am Wehrhahn 40A); er spezialisierte sich vor allem auf großformatige Landschaften und Industriedarstellungen
“Jorzig gehörte in den 1930er Jahren zu den erfolgreichen Landschafts- und Porträt-Malern und wurde in allen größeren Ausstellungen der Bochumer Gemäldegalerie gezeigt” (Susanna Partsch).
Jorzig war eng befreundet mit Egino G. Weinert (1920-2012).
1937 wird das Gemälde “Straße in winterlicher Stimmung” aus dem Bestand der Städtischen Galerie Nürnberg als “entartet” beschlagnahmt.
Preise
1932 Dürer-Preis der Stadt Nürnberg
1936 Westfalen-Preis der Stadt Münster
1937 Cornelius-Preis der Kunstakademie Düsseldorf
Ausstellungen
1931 “Bochumer Künstler”, Bochum
1932 Einzelausstellung, Kunstakademie Düsseldorf
1934 “Westfälische Künstler”, Berlin
1934 “Die Auslese”, Berlin
1934 “Gemeinschaftsausstellung deutscher Künstler”, Düsseldorf
1935 “Weihnachtsverkaufsausstellung Düsseldorfer Künstler”, Düsseldorf
1935 “Maler sehen Deutschland”, Duisburg
1935 “Die Kunst der deutschen Stämme”, Rostock
1936 “Deutsche Städtebilder”, Berlin
1936 “Berg und Mark – Landschaft und Menschen”, Bochum – Hagen – Wuppertal
1936 “Westfront 1936. Freie Kunst im neuen Staat”, Essen
1936 “Malerei und Plastik”, Hamburg
1937 Einzelausstellung, Kunstverein Düsseldorf
1937-44 “Große Deutsche Kunstausstellung”, München
1937, 1942 “Große Westfälische Kunstausstellung”, Dortmund
1937 “Große Aquarellschau der jungen deutschen Kunst”, Duisburg
1937, 1942, 1943 “Große Frühjarsausstellung”, Hannover
1937, 1938 “Deutsche Kunst der Gegenwart”, Heidelberg
1937 “Neue deutsche Malerei”, Mannheim
1937 “Westfalens Beitrag zur deutschen Kunst der Gegenwart”, Münster
1938, 1942 Biennale, Venedig
1939 “Ausstellung Kunst und Technik”, Dresden
1939, 1942 “Der deutsche Westen”, Köln
1939 “Der Bauer und seine Welt”, Leipzig
1939 “Künstler sehen eine Stadt”, Soest
1940 “Rheinische Kunstausstellung”, Berlin
1940, 1942 “Frühjahrsausstellung Düsseldorf”, Düsseldorf
1940, 1941 “Herbstausstellung Düsseldorf”, Düsseldorf
1940 “Kunstausstellung für Soldaten”, Düsseldorf
1940 “Deutsche Graphik”, Hamburg
1941 “Düsseldorfer Maler”, Dessau
1942 “Winterausstellung Düsseldorf”, Düsseldorf
1942 “Ausstellung Kunst und Technik”, Dortmund
1942 “Aquarellschau”, Dessau
1942 “Große Berliner Kunstausstellung”, Berlin
1942 “Der Rhein und das Reich”, Braunschweig
1942 “Norddeutsche Aquarelle und Kleinplastik”, Hamburg
1943 “Junge Kunst im Deutschen Reich”, Wien
1945 “Große Kunstausstellung der Künstler des Regierungsbezirkes Arnsberg”, Arnsberg
1945 “Kunstausstellung der Gemeinschaft Soester Künstler”, Soest
1946 “Erste Kunstausstellung der Westfälischen Sezession”, Bielefeld – Hagen
1947 “10 Düsseldorfer Künstler”, Düsseldorf
1947 “Düsseldorfer Kunstausstellung”, Düsseldorf
1947 “Westdeutscher Künstlerbund”, Hagen
1948 “150 Jahre soziale Strömungen in der bildenden Kunst”, Dresden
1948 “Weihnachtsausstellung des Landesverbandes bildender Künstler in Nordrhein-Westfalen”, Düsseldorf
1948 “Westdeutsche Maler”, Essen
1951 “Düsseldorfer Künstler”, Flensburg
1965 “Düsseldorfer Maler und Bildhauer der letzten 50 Jahre”, Düsseldorf
1974 “Das Menschenbild im 20. Jahrhundert”, Hagen
2007 “Sieben und neunzig Sachen – Sammeln, bewahren, zeigen”, Bochum
Mitgliedschaften
Künstlerverein “Malkasten”, Düsseldorf
“Westfälische Sezession”
Sammlungen
Berlin, Deutsches Historisches Museum
Berlin, Nationalgalerie
Bochum, Zentrum für Stadt-Geschichte
Bochum, Deutsches Bergbau-Museum
Herne, Emschertal-Museum
Aus:
Bruno Kroll: Zur Deutschen Kunstausstellung in München 1941, in: Moras, Joachim (Hrsg.):
„Europäische Revue“, Heft 10 (Oktober 1941), Stuttgart – Berlin: Deutsche Verlagsanstalt, S. 641-644 [hier: 642]