E D U A R D B R A U N (29.07.1902 Wetzlar – 27.11.1972 Berlin)
‚Theatergarderobe‘ (um 1930)
Tuschfeder über Bleistift auf Velinpapier, unter Passepartout, gerahmt, unter Glas
€ 3.200,-
Titel
ohne Titel [‚Theatergarderobe‘, so betitelt in der Sammlung Fishman, bei der Galerie Nierendorf (1987) etwas irrig betitelt als „Im Pfandhaus“]
Technik
Tuschfeder über Bleistift auf Velinpapier, unter Passepartout, gerahmt, unter Glas
Signatur
unten mittig in Blei signiert „Ed. Braun“
Jahr
undatiert [um 1930]
Größe
Größe: 26,5 x 25 cm (Blatt) bzw. 25,5 x 22 cm (Sichtfeld) bzw. 48,3 x 38,3 cm (Rahmen)
Zustand
Rahmen ungeöffnet; Glas oben rechts mit sehr kleiner, kaum auffälliger Beschädigung; Rahmen an Kanten und Ecken leicht berieben
Provenienz
1) Nachlass des Künstlers
2) von 1) an Galerie Nierendorf, Berlin
3) 1987, von 2) erworben von Marvin (29.01.1925 Milwaukee (USA) – 09.10.2009 ebd.) und Janet Fishman, geb. Baum (09.03.1929 Green Bay (USA) – 17.01.2013 Milwaukee (USA))
Nach seinem Militärdienst bei der US-Armee, den er noch während des Zweiten Weltkrieges leistete, begann Marvin Fishman sein Studium an der Universität Wisconsin-Madison und erwarb sich einen Bachelor in Marketing und einen MBA. 1952 gründete er ein Immonilienunternehmen. Er ist besonders als Mitgründer des Basketball-Teams „Milwaukee Bucks” 1968 bekannt.
Janet Fishman studierte an derselben Universität. Ab 1970 war sie Dozent am Milwaukee Art Museum (MAM) und unterrichte dort zur Kunst des 20. Jahrhunderts und im Speziellen zur Museumssammlung des deutschen Expressionismus. Zusammen mit ihren Kindenr lebte das Paar in Fox Point.
Bereits ab den späten 1940er Jahren begann das Paar Kunst zu sammeln. “Schon bald interessierten sie sich für jene Arbeiten, die in Deutschland entstanden waren zu Zeiten des Expressionismus und der Neuen Sachlichkeit. Sie mieden den breiten Strom des Anerkannten. Nur einige Werke von Beckmann, Heckel, Dix, Grosz, Dafür Arbeiten solcher Künstlerinnen und Künstler, die in der Unwucht der Zeiten keinen Platz in den Museen und privaten Kabinetten gefunden hatten.” (Gerd Presler)
Mit den Jahren fokussierten sie sich auf deutsche Kunst des frühen 20. Jahrhunderts und trugen hierbei eine Sammlung zusammen, die in diesem Bereich neben dem “Rifkind Center for German Expressionist” in den USA (und darüber hinaus) die wichtigste und bedeutendste Sammlung war. Ab Mitte der 1970er Jahren wurden Teile der Sammlung öffentlich gezeigt. Ab den 1980er Jahren gab es zahlreiche Ausstellungen in Europa (Berlin, London, Osnabrück, Brüssel, Genf, Frankfurt a.M.).
“Marvin und Janet Fishman werden im Gedächtnis bleiben als frühe Entdecker eines eigenen Kapitels der Kunstgeschichte in Deutschland, als Pioniere mit einem feinen, sicheren Blick für Qualität.” (Gerd Presler)
Im Oktober 2000 wurde ein Teil der Sammlung bei Sotheby´s (London) versteigert. Ein zweiter Teil kam im Oktober 2010 bei Karl & Faber (München) zum Ausruf.
4) 28.10.2010, Karl & Faber, “Tanz auf dem Vulkan. Deutscher Expressionismus und Neue Sachlichkeit” (Sammlung Fishman), München, Auktion, Los 22.
5) Privatbesitz (Rheinland)
Ausstellungen
1) 26.08.-17.11.1987, “Herbst 1987. 357 Werke von 68 Künstlern des zwanzigsten Jahrhunderts“, Galerie Nierendorf, Berlin, Kat.Nr. 22 (als “Im Pfandhaus”).
2) 07.12.1990-03.02.1991, „From Expressionism to Resistance: Art in Germany 1909 – 1936. The Marvin and Janet Fishman Collection“, Milwaukee Art Museum (Milwaukee)
3) 01.03.-28.04.1991, „From Expressionism to Resistance: Art in Germany 1909 – 1936. The Marvin and Janet Fishman Collection“, Berlinische Galerie (Berlin)
4) 08.06.-18.08.1991, „From Expressionism to Resistance: Art in Germany 1909 – 1936. The Marvin and Janet Fishman Collection“, Schirn Kunsthalle (Frankfurt am Main)
5) 29.08.-20.10.1991, „From Expressionism to Resistance: Art in Germany 1909 – 1936. The Marvin and Janet Fishman Collection“, Kunsthalle Emden
6) 21.11.1991-25.01.1992, „From Expressionism to Resistance: Art in Germany 1909 – 1936. The Marvin and Janet Fishman Collection“, The Jewish Museum (New York City)
7) 06.06.-30.08.1992, „From Expressionism to Resistance: Art in Germany 1909 – 1936. The Marvin and Janet Fishman Collection“,High Museum of Art (Atlanta)
8) 11.04.-16.06.2002, „German and Austrian Art of the 1920s and 1930s: The Marvin and Janet Fishman Collection“, Haggerty Museum of Art at Marquette University, Milwaukee
[Hierzu verso jeweils diverse Ausstellungsetiketten.]
Abbildungen
1) Galerie Nierendorf (1987): “Herbst 1987. 357 Werke von 68 Künstlern des zwanzigsten Jahrhunderts“, Berlin, Kat.Nr. 22 [kleine Abb.];
2) Heller, Reinhold (Hrsg.) (1991): Vom Expressionismus zum Widerstand. Kunst in Deutschland 1909-1936. Die Sammlung Marvin und Janet Fishman, München: Prestel-Verlag, S. 35 (Kat.Nr. 18) [halbseitige Abb.];
3) Heller, Reinhold (ed.) (1991): Art in Germany 1909-1936. From Expressionism to Resistance. The Marvin and Janet Fishman Collection, Munich: Prestel, S. S. 35 (Kat.Nr. 18) [halbseitige Abb.]
Werkbeschreibung
Eduard Braun war in den späten 1920er und frühen 1930er Jahren ein bekannter Illustrator und (Presse-)Zeichner. Seine Werke fanden sich unter anderem in der von Alfred Flechtheim herausgegebenen Zeitschrift „Der Querschnitt“, im „Simplicissimus“, in der „Jugend“, im „Ulk“, in der „Illustrierten Republikanischen Zeitung“, sowie in „Velhagen und Klasings Monatsheften“.
In seinen Holzschnitten und Zeichnungen ist Braun deutlich einzuordnen in die moderne, expressive Kunst des Berlins der Zwischenkriegszeit. Motivisch greift er auf ganz typische Themenbereiche wie das Café, die Bar, das Theater und anderes zurück. Seine Menschendarstellungen sind dabei gekennzeichnet von markanter Mimik und Physiognomie.
Das vorliegende Werk mit der Darstellung einer Theatergarderobe ist in diese Schaffenszeit einzuordnen.
Im Ausstellungskatalog zur Sammlung Fishman schreibt Reinhold Heller ausführlich zu dieser Zeichnung:
„Menschen drängen sich um eine Garderobentheke, um ihre Mäntel, Hüte und Stöcke abzuholen, die sie vor einer Theater- oder Konzertvorführung abgegeben haben. Es ist eine alltägliche Szene, die der Künstler mit kurzen Federstrichen als einen Kommentar zu gesellschaftlichen Rollen und deren Umkehrung wiedergibt: die Dienenden werden zu Herrschenden, wenn auch nur für kurze Zeit.
Im Mittelpunkt der Zeichnung steht die stabile Gestalt einer Garderobenfrau, die einen Stoß von Kleidung trägt. Ihr Auftreten drückt Sicherheit und Kraft aus, betont durch ein Profil mit massivem Kinn und kräftigen, entschlossenen Gesichtszügen. Sie verkörpert den Typ der Proletarierin, verwandt mit den Frauen auf Käthe Kollwitz‘ und Heinrich Zilles Zeichnungen und Drucken.
Die Zeichnung ‚Theatergarderobe‘ liefert ihren Kommentar auf satirisch-humorvolle Weise. Überzogen gezeichnete Gesichtszüge – besonders jene in dem drängenden Menschenhaufen, der zur Theke vorstößt – rücken die Darstellung fast in den Bereich der Karikatur. Sicher hinter der Barriere ihrer Theke, erfährt die Garderobenfrau eine Illusion von Macht und eine allgemeine Beachtung, die ihr von der Gesellschaft normalerweise nicht entgegengebracht wird.“ [1]
Das Werk kam aus dem Nachlass des Künstlers zur Galerie Nierendorf, wurde dort bei einer Ausstellung von dem us-amerikanischen Sammlerehepaar Marvin und Janet Fishman erworben und blieb fortan in deren Sammlung. Während dieser Zeit wurde die Zeichnung auf insgesamt sieben Ausstellungen öffentlich präsentiert. 2010 war das Werk schließlich bei der Versteigerung von „Karl & Faber“, auf welcher ein großer zweiter Teil der Fishman-Sammlung ausgerufen wurde. Marvin Fishman ist im Jahr zuvor verstorben und die 2013 verstorbene Witwe Janet Fishman litt zuletzt an Alzheimer-Demenz.
Die Bedeutung der Fishman-Sammlung kann nicht überschätzt werden. Ganz trefflich fast es Gerd Preßler folgendermaßen zusammen:
“Marvin und Janet Fishman werden im Gedächtnis bleiben als frühe Entdecker eines eigenen Kapitels der Kunstgeschichte in Deutschland, als Pioniere mit einem feinen, sicheren Blick für Qualität.”
Und ebenso passend und eindrücklich ist die Aussage von Bernhard Schulz, der in den Vorbereitungen zu einer Ausstellung von Eberhard Roters in die USA geschickt wurde und dort das Ehepaar Fishman besuchte. Auf die Frage von Roters wie es denn bei den Fishmans gewesen sein, sagte ihm Schulz:
„Bilder, […] Bilder, überall Bilder, das ganze Haus voller Bilder, von oben bis unten. Ich kann mich kaum an eine Stelle erinnern, wo keines gewesen wäre. Was der Marvin Fishman alles hat, das würde der Sammlung der Berlinischen Galerie gut zu Gesicht stehen.“ [2]
Neben damals bereits anerkannten Künstlern wie Otto Dix, Conrad Felixmüller, George Grosz, Erich Heckel, Georg Tappert, galt das Hauptaugenmerk stets jenen vergessenen, unbekannteren Künstlerinnen und Künstlern, so dass es nicht zuletzt dem Engagement von Marvin und Janet Fishman zu verdanken ist, dass solche Künstler wie Heinrich Ehmsen, Grethe Jürgens, Else und Ludwig Meidner, Jeanne Mammen, Max Radler und eben auch Eduard Braun wieder mehr Aufmerksamkeit erhalten und es in Teilen (Mammen, Meidner) auch zu einer tatsächlichen Wiederentdeckung und umfangreichen Würdigung des Schaffens kam.
Von Eduard Braun besaßen die Fishmans insgesamt drei Objekte, was durchaus bedeutet, dass sie von der Qualität und der Relevanz des Künstlers überzeugt waren.
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[1] Heller, Reinhold (Hrsg.) (1991): Vom Expressionismus zum Widerstand. Kunst in Deutschland 1909-1936. Die Sammlung Marvin und Janet Fishman, München: Prestel-Verlag, S. 165-166.
[2] Eberhard Roters (1991): Vorwort, in: Heller, Reinhold (Hrsg.): Vom Expressionismus zum Widerstand. Kunst in Deutschland 1909-1936. Die Sammlung Marvin und Janet Fishman, München: Prestel-Verlag, S. 7-8 [hier: 7].
Zu Gottfried Christoph Eduard Braun (29.07.1902 Wetzlar – 27.11.1972 Berlin):
(Presse-)Zeichner, Grafiker, Illustrator.
Anfangs Studium der Agrarwissenschaften.
Hierauf wendet er sich der Kunst zu und besucht die Kunstakademie Düsseldorf, sowie die Studienwerkstätten in München.
1926 entstehen die ersten Holzschnitte und Eduard Braun beginnt mit seiner Arbeit als Illustrator.
1927 Übersiedlung nach Berlin, dort lebte er in den 1930er Jahren in der Wormser Straße 6a. Braun arbeitet als Illustrator und Zeichner u.a. für „Der Querschnitt“, „Simplicissimus“, „Jugend“, „Ulk“, „Illustrierte Republikanische Zeitung“, „Velhagen und Klasings Monatshefte“, daneben auch in Zeitschriften des Scherl-Verlages „Der Tag, „Die Woche“, sowie für die Düsseldorfer Zeitungen „Phönix“ und „Neue Post“.
3. September 1932 Heirat mit Franziska Ottilie Peppinghaus (17.03.1904 Radevormwald, Kreis Lennep – ?). Die Ehe wird am 30. Oktober 1948 geschieden.
1937 wird der Holzschnitt „Trödler“ aus dem Bestand der Kunstsammlungen der Stadt Düsseldorf als „entartet“ beschlagnahmt.
1938 illustriert er den Band „Alle Tage Gloria“ (Berlin: Büchergilde Gutenberg) von Felix Riemkasten.
1940-45 Kriegsdienst und russische Gefangenschaft.
1946 Rückkehr nach Berlin. Eduard Braun arbeitet (teilweise unter dem Pseudonym „Urban“) für die Zeitungen „Der Telegraf“, „Kurier“ und „Nacht-Depesche“, sowie bei den satirischen Zeitschriften „Uylenspiegel“ und „Insulaner“.
1946 illustrieren drei seiner Holzschnitte Erich Honeckers Band „Die Rolle der Freien Deutschen Jugend im geistigen Ringen unserer Zeit – Rede auf der IV. Tagung des Zentralrates der Freien Deutschen Jugend am 28.-30. November 1946 in Berlin” (Berlin: Verlag Neues Leben).
7. Juli 1949 zweite Ehe mit Edith Else Luise Karlick (24.01.1908 Königsberg (Ostpr.) – 08.10.1984 Berlin).
1972 geht „Der Telegraf“ bankrott und Braun wird arbeitslos. In der Folge arbeitet er zuletzt als Pförtner in einem Studentenwohnheim.
Eduard Braun lebte in der Bamberger Straße 8 in Berlin-Charlottenburg.
1985 erschien posthum der Band „Berlin SOS. Gedichte, Lieder, Chansons“ (Edition Handpresse Gutsch, 200 Ex.) mit Gedichten von Walter Mehring und Holzschnitten Eduard Brauns.
Mitgliedschaften:
ab 1946 Mitglied im „Berufsverband Bildender Künstler“ (BBK), Berlin.
Ausstellungen
1971 Beteiligung an der Ausstellung „Die zwanziger Jahre“, Galerie Nierendorf, Berlin
1977 Beteiligung an der Ausstellung „Wem gehört die Welt. Kunst und Gesellschaft in der Weimarer Republik“, Staatliche Kunsthalle Berlin
1987 Beteiligung an der Ausstellung „Berlin, Berlin – die Ausstellung zur Geschichte der Stadt”, Martin Gropius Bau, Berlin
1987 Beteiligung an der Ausstellung „Herbst 1987. 357 Werke von 68 Künstlern des zwanzigsten Jahrhunderts“, Galerie Nierendorf, Berlin
1990-92 Wanderausstellung „From Expressionism to Resistance: Art in Germany 1909 – 1936. The Marvin and Janet Fishman Collection“ (Milwaukee, Berlin, Frankfurt a.M., Emden, New York, Atlanta, La Haye, Brüssel, Genf)
2002 Teil der Ausstellung „German and Austrian Art of the 1920s and 1930s: The Marvin and Janet Fishman Collection“, Haggerty Museum of Art at Marquette University, Milwaukee
Sammlungen
Berlinische Galerie, Berlin
Städtische Museen Wetzlar
Mary and Leigh Block Museum of Art (Northwestern University), Evanston (USA)
Ohio State University Billy Ireland Cartoon Library & Museum, Columbus (USA)
Literatur
— Heller, Reinhold (Hrsg.) (1991): Vom Expressionismus zum Widerstand. Kunst in Deutschland 1909-1936. Die Sammlung Marvin und Janet Fishman, München: Prestel-Verlag, S. 215
— Galerie Nierendorf (1971): Die zwanziger Jahre (II). Deutsche Kunst von 1924 bis 1933. [Kunstblätter 21/23], Berlin, S.89
— Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (1977): Wem gehört die Welt. Kunst und Gesellschaft in der Weimarer Republik, Berlin, S. 346
— Christiane Kruse: Eduard Braun, in: „Allgemeines Künstlerlexikon“ (AKL), Onlineversion