C H A R L O T T E H I L M E R (04.05.1909 Hamburg – 07.05.1958 ebd. (Suizid))

Weitere Werke von Charlotte Hilmer
„sitzende, junge Frau“ (um 1939-45)
Öl auf Leinwand, doubliert, Keilrahmen, gerahmt
€ 2.600,-
Titel
ohne Titel [„sitzende, junge Frau“, so betitelt auf einer beigefügten Karte der „Galerie Herold“ (Hamburg)]
Technik
Öl auf Leinwand, doubliert, Keilrahmen, gerahmt
Signatur
unten links am Rand in Rotbraun signiert „L. Hilmer-W.“
Jahr
undatiert [um 1939-45, auf einer beigefügten Karte der „Galerie Herold“ datiert auf „1936“, was jedoch als irrig anzusehen ist [1]]
Größe
Größe: 60,5 x 50 cm (ohne Rahmen) bzw. 71 x 59 cm (mit Rahmen)
Zustand
Leinwand doubliert; Ränder der Leinwand rahmungsbedingt leicht berieben (unter Rahmung nicht sichtbar); in der unteren Bildhälfte Craquelé- und mitunter Rissbildung (Farbschichten jedoch alle fest und keine Schollenbildungen); partiell sehr leicht fleckig; Leinwand verso etwas fleckig
Ausstellung
(wohl) 1999 Galerie Herold, Hamburg (zusammen mit Arnold Hilmer) [Hierzu dem Gemälde beigefügt eine Karte der Galerie Herold mit Angaben zur Künstlerin, zum Werk und früherer Preisangabe (7.500,- DM). Im damals zur Ausstellung erschienenen Katalog ist das vorliegende Gemälde nicht abgebildet.]
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[1] Die Datierung der Galerie Herold auf das Jahr 1936 erscheint als irrig, da die Heirat zwischen Arnold und Charlotte Hilmer erst 1939 erfolgte, die Künstlerin aber hier mit “Hilmer-W.” unterzeichnete. Diese hier vorliegende Signatur verweist damit auf eine Entstehung ab dieser Zeit.
Charlotte Hilmer, geb. Wegel, war seit 1939 Ehefrau des Künstlers Arnold Hilmer (1908 Hamburg – 1993 ebd.), doch trat sie zeitlebens auch selbst als Künstlerin auf.
Gemeinsam mit ihrem späteren Mann begann sie ihr Kunststudium 1928-29 an der Landeskunstschule in Hamburg und besuchte dort Kurse bei Eduard Steinbach. Hierauf gingen Beide für ein Jahr an die Königsberger Kunstakademie und der damalige Lehrer Charlotte Wegels war Hans Ludwig Pfeiffer (1903 Rom – 1999 Berlin). Nach dem Jahr in Königsberg war das Paar bis 1933 an der Kunstakademie Stuttgart, wo Charlotte Wegel Kurse bei Robert Breyer und Anton Kolig nahm.
In den frühen 1930er Jahren teilten sich Arnold Hilmer und Charlotte Wegel in Hamburg eine Atelierwohnung in der Langen Reihe mit u. a. Ernst Witt. 1939 erfolgte die Heirat des Künstlerpaars und die Beiden zogen in die Alsterchaussee 11. 1939 hatte sie mit ihrem Mann eine Atelierausstellung, ist 1941 auf einer Schau des Hamburger Kunstvereins vertreten, beteiligte sich 1943 an der Ausstellung „Zwölf Hamburger Künstlerinnen“ (Hamburg-Bergedorf), trat dann aber wohl nicht weiter mit ihrem damaligen Schaffen an die Öffentlichkeit.
Erst nach dem Zweiten Weltkrieg konnte sie sich etablieren und fand dabei zu einem eigenen expressiv realistischen Ausdruck, der in den späten Schaffensjahren einen hohen Abstraktionsgrad hatte.
In den 1950er Jahren unternahm sie Studienreisen nach Dänemark, Italien und in die Niederlande.
Die Künstlerin verstarb mit nicht einmal 50 Jahren durch Freitod.
Dieses hier gezeigte Gemälde ist in die eher frühe Schaffensphase der Künstlerin einzuordnen und wird in den ersten Jahren nach der Heirat (1939) entstanden sein.
Auffallend und beachtenswert ist hierbei die dezidiert moderne, expressive Malweise, welche den damaligen (politisch) erwarteten Kunstanforderungen sicher nicht entsprach. Dass diese modern ausgerichtete Malweise für Charlotte Hilmers Schaffen dieser Jahre durchaus charakteristisch war, lässt sich belegen durch ein in der Literatur bislang nicht bekanntes Schreiben (vom 08. Februar 1943) von Hans Matthiessen (1876-1944), Lehrer und Bergedorfer Bürgervertreter. Matthiessen teilt der Künstlerin mit, dass die eingereichten Werke zur Ausstellung „Zwölf Hamburger Künstlerinnen“ abgeholt werden können. Und hochinteressant ist nun der folgende Part, wenn Matthiessen schreibt:
„Ihre schönen Aquarelle haben wie alle irgendwie problematischen Bilder geteilte Beurteilung gefunden. Die auf deren Urteil ich etwas gebe, standen ganz zu Ihnen, andere behaupten, so hätten Sie es nicht gesehen; sie gestatteten Ihnen also keine Gestaltung; anderen waren die Bäume im Vordergrund zu gleichmäßig typisiert. Jedenfalls haben die Besucher sich bei Ihren Bildern Gedanken gemacht, was oft nicht geschieht.“
Das ist doch durchaus ein interessanter, wenn auch sehr vorsichtig formulierter, Hinweis, der belegt, dass Charlotte Hilmer zu dieser Ausstellung modern aufgefasste – „irgendwie [problematische]“ – Landschaftsaquarelle einreichte.
Nach Matthiessen gab es unter den Besuchern also jene, die sich daran stießen, dass es die von Hilmer gezeigten Landschaften so doch gar nicht gäbe bzw., dass die Künstlerin diese so gar nicht gesehen haben könne. Ein überaus platter Einwand voller Ignoranz und Borniertheit.
Nun wird diese Ausstellung sicherlich keine deutschlandweite Resonanz gehabt haben, doch ist nicht zu vergessen, dass 1943 die Kunst- und Kulturpolitik im Dritten Reich bereits weitaus restriktiver war als noch bis etwa 1936/37. Dass Charlotte Hilmer hier solch moderne, ja muss möchte direkt sagen: anstößige, Landschaften zeigte, zeugt nicht nur von ihrem Kunstverständnis, sondern auch von einer gewissen Courage.
In diesen Jahren ist nun auch das hier zu sehende Bildnis der ‚sitzenden, jungen Frau‘ entstanden.
Vor einem vornehmlich dunklen, schwarz-violetten, Hintergrund sitzt eine junge Frau in einem hellen Kleid. Im hinteren linken Bereich zeigt sich angeschnitten eine Blumenvase als einziges deutbares Element der Umgebung. Die Frau selbst wurde von Hilmer in einem Bruststück dargestellt, die Hände ruhen im Schoß, liegen aber bereits zum Großteil außerhalb der unteren Bildfläche. Der Körper und auch das Gesicht sind direkt dem Betrachter zugewandt, während die Augen leicht zum rechten Bildrand führen. Von dort fällt auch das Licht in die Komposition und womöglich hat die Porträtierte hier etwas erblickt auf dem nun ihr Blick ruht.
In vornehmlich breiten Pinselstrichen und einem mitunter leicht pastosen Farbauftrag entsteht ein ganz eigentümliches, herbes, aber auch gefühlvolles Bildnis. Während das junge Alter und das helle Kleid eher eine Zartheit vermuten lassen, so sieht Charlotte Hilmer hier vielmehr Ernst und Persönlichkeit. Dementsprechend wirkt der Mund beinahe bewusst verschlossen, ohne jegliches Lächeln. Und es ist gerade das Gesicht, welches einen deutlich hohen Abstraktionsgrad aufweist – die einzelnen Farbflächen überlagern sich mitunter, wirken impulsiv gesetzt. Einzig die markant dunklen Augen und der schmale rote Mund bilden Orientierungspunkte innerhalb dieses tiefgründig traurigen, früh gealterten Gesichtes.
Charlotte Hilmers Bildnisgemälde ist beispielhaft für die so oft bemühte „verschollene Generation“ (Rainer Zimmermann), doch ist es bei ihr als Künstlerin zugleich auch eine „doppelte Verschollenheit“ (Ingrid von der Dollen), welche die künstlerische Arbeit, die Etablierung und auch die (Wieder-)Entdeckung erschwerte. [2] Beispielhaft für diese kunsthistorische Einordnung ist dieses Gemälde nicht nur aufgrund der Malweise, sondern auch wegen des Motivs. Gerade bei dieser Künstlergenerationen wird der Mensch als Motiv neuentdeckt und auffälligerweise tauchen dabei besonders der sehr alte und der sehr junge Mensch als Dargestellte auf, „denn beiden Gruppen fehlen die Sonderbezüge sozialer Funktionen; das reine kreatürliche Dasein tritt bestimmend hervor.“ [3] Vergleichbare frühe Gemälde Charlotte Hilmers sind nur äußerst selten zu finden. Ebenso sind im Allgemeinen derartige, dezidiert moderne, ausdrucksstarke Bildzeugnisse von Künstlerinnen während dieser Jahre eine Seltenheit, was nicht zuletzt die weit über Hamburg hinaus reichende Relevanz der Künstlerin und die Eigenständigkeit ihres Schaffens unterstreicht.
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[2] „Die zwischen 1890 und 1910 geborenen Malerinnen hatten trotz gründlicher Ausbildung und gerade einsetzender Erfolge keine Chance, sich nachhaltig in das Bewußtsein der Kunstkritiker einzuprägen. […] Jedoch, nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Künstlerinnen ihre Schaffensgrundlage wiederhergestellt hatten, waren sie zu alt, und die Jüngeren erschienen auf der Bildfläche – sofern überhaupt Frauen die Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnten. Dennoch haben diese Malerinnen allen widrigen Umständen zum Trotz eine intensive Kreativität entfaltet und ein reiches Werk hervorgebracht“ (Dollen 2000: 13).
[3] Rainer Zimmermann (1994): Expressiver Realismus. Malerei der verschollenen Generation, München: Hirmer, S. 116.
Zu Charlotte Hilmer, geb. Wegel (04.05.1909 Hamburg – 07.05.1958 ebd. (Suizid)):
Malerin, Zeichnerin, Grafikerin.
Ehefrau des Künstlers Arnold Hilmer (1908 Hamburg – 1993 ebd.).
1928-29 gemeinsam mit ihrem späteren Mann Studium an der Landeskunstschule in Hamburg (bei Eduard Steinbach).
1929-30 zusammen mit Arnold Hilmer studiert sie an der Königsberger Kunstakademie (bei Hans Ludwig Pfeiffer (1903 Rom – 1999 Berlin)).
1930-33 zusammen mit Arnold Hilmer studiert sie an der Kunstakademie Stuttgart (bei Robert Breyer und Anton Kolig).
In den frühen 1930er Jahren teilten sich Arnold Hilmer und Charlotte Wegel in Hamburg eine Atelierwohnung in der Langen Reihe mit u. a. Ernst Witt.
1939 erfolgte die Heirat des Künstlerpaars und die Beiden zogen in die Alsterchaussee 11.
Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte sie sich als Künstlerin etablieren und fand dabei zu einem eigenen expressiv realistischen Ausdruck, der in den späten Schaffensjahren einen hohen Abstraktionsgrad hatte.
In den 1950er Jahren unternahm sie Studienreisen nach Dänemark, Italien und in die Niederlande.
In Charlotte Hilmers Schaffen finden sich „Blüten- und Blumenbilder in leuchtenden Farben, Landschaften mit kreisenden Sonnen in strömenden Linien. Figurenbilder in statuarischer Ruhe, archaisch-weibliche Urformen“ (Maike Bruhns).
Einzelausstellungen (Auswahl)
1939 hatte sie mit ihrem Mann eine Atelierausstellung in Hamburg
1950, 1953, 1955 Kulturelle Vereinigung Voksheim, Hamburg
1956 Museum für Völkerkunde, Hamburg (zusammen mit Arnold Hilmer)
1958 Hamburger Kunsthalle; 1960 Märkisches Museum, Witten
1964 Kunstkabinett Hanna Bekker vom Rath, Frankfurt a. M.
1999 Galerie Herold, Hamburg (zusammen mit Arnold Hilmer)
Sammlungen
Hamburger Kunsthalle
Sammlung der Hamburger Sparkasse
Märkisches Museum, Witten
Sammlung Dr. Maike Bruhns, Hamburg
Literatur
— Dollen, Ingrid von der (2000): Malerinnen im 20. Jahrhundert. Bildkunst der „verschollenen Generation“, München: Hirmer, S. 315
— Familie Kay Rump (Hrsg.) (2013): Der neue Rump. Lexikon der bildenden Künstler Hamburgs (überarbeitet von Maike Bruhns); Wachholtz; Neumünster – Hamburg; S. 198
— Heydorn, Volker Detlef (1974): Maler in Hamburg 1966-1974; Christians; Hamburg; S. 127
— Meyer-Tönnesmann, Carsten: Charlotte Hilmer, in: „Allgemeines Künstlerlexikon“, Onlineversion, De Gruyter-Verlag
— Städtisches Gustav-Lübcke-Museum (1962): Charlotte Hilmer. Ausstellung von Ölbildern, Aquarellen, Zeichnungen und Farbholzschnitten (Text Hans Platte) [Ausstellungskatalog], Hamm

































