Handschrift    mit    einer    Abschrift    von    Turrels    „Prophezeiung    auf    das    Schicksal    Frankreichs“

 

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„Turrels Prophezeiung auf das Schicksal Frankreichs“ (wohl um 1794-1800)

dunkle Tinte auf Büttenpapier (mittig Wasserzeichen „P“), gefaltet
Umfang: 1 Bl. / 4 Seiten (4 Seiten beschrieben)
ohne Datierung [wohl um 1794-1800];
ohne Signatur
Größe: 20,2 x 17,2 cm (Seitengröße)
auf der ersten Seite überschrieben „Turrels Prophezeiung auf das Schicksal Frankreichs“

€ 480,-

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Zustand
Blatt mittig zu vier Seiten gefaltet; weiterhin horizontal leichte Faltspur; Druckstellen im Blatt; im oberen Bereich an der Faltung braunfleckig; Ecken bestoßen und mit Knickspuren; Seite 3 oben rechts im Eckbereich etwas aufgeraut; Seite 4 unten rechts kleiner Fleck

 
 

Text der Handschrift

„Turrels

Prophezeiung auf das Schicksal Frankreichs.

Pierre Turrel, Rector an der Schule zu Dijon, und ein ehemals berühmter Astrolog, der unter den beyden Königen von Frankreich, Ludwig dem 12ten und Franz dem 1ten, also zwischen 1498 und 1547 lebte. Soll auch nach Paradie´s Berichte, der Regentin das Unglück bei Pavia kurz zuvor, ehe es sich zutrug, vorausgesagt haben. Über diesen Mann führt Wolf[1] Tom. III. seiner Lectionum memorabilium et reconditarum, Seite 237 an, daß er in seinen Schriften von Frankreich geweißaget habe:

‚Astrologus vates haec nuntio moesta, nepotes!

Corpore qui grandis et tertius [2] ordine fratrum

Praediras edet caedes, lanio ipse suorum,

quas propter surget civili Francia bello.

Proh dolor! Et Procerum praeceps cadet isto [3] duello

Non erit una fides, non lex, non unicus & Rex,

[Seite]

Multi sed reges, leges & religiones.*

Serviet haud minimis in partes scissa ruinis

O Deus! a variis saeve [4] lacerta [5] tribunis,

Sic ruet in felix per Reges Francia Cives

Antea quae felix per Reges Francia dives.‘

* Ein meisterhafter Vers, um eine große Unordnung mit Verwirrung zu bezeichnen! Lauter Pluralen, sonderbare Cäsur und Scansion, und das letzte Wort: religiones, noch eben drum, durch eine poetische Reduplikation verschönert – aber doch immer im Grunde verdorben!
Ach ja, wohl viele Religionen – miserable verstümmelte Religionen! – Eine Vernunft-Religion läßt sich subjectivisch gar nicht denken, so wie sich eine christliche denken läßt. [6]

† Die sämtl. Geschwister des ermordeten Königs waren 1.) Maria Theresia, 2.) Maria Zephyrina, 3.) Ludwig Joseph Xaver, geb. 1751 gestorben 1765, 4.) Xaver, geb. 1753 † [17]54, 5.) der König selbst, Ludwig August, geb. 1754 † 1793, 6.) & 7.) noch zwey Herren Brüder. Und 8.) 9.) noch 2 Prinzessinnen Schwestern.

[Seite]

Uibersetzung

Ich Sterndeuter verkündige als Wahrsager Euch, Enkeln, diese leidige Bothschaft. Der Mann, der stark von Cörper und der dritte in der Reihe seiner Brüder ist, wird schreckliche Thaten zum Ausbruch bringen [Cedet – er wird sie heraus geben – zum Vorschein bringen – der Stoff ist also schon da, so wie die Materialien eines Buches da seyn müssen, das ausgegeben werden soll. Ach der unglückliche Ludwig war Editor der ganzen Revolution, durch Zusammenberufung der Notablen!] und selbst der Schlächter der Seinigen werden. Darum wird Frankreich zum Bürgerkrieg aufstehen; ach! Und es wird schnell im Kampf mit den Großen des Reichs erliegen. Dann wird nicht ein Glaube, nicht ein Gesetz, nicht ein einziger König seyn, sondern der Könige, der Gesetze, der Religionen viele!

[Seite]

Fröhnen wird es zerstückt den nicht unbeträchlichsten Uiberresten.
Großer Gott! Von verschiedenen Volksvertretern unbarmherzig zerfleischt wird Frankreich – sonst glücklich durch seine Könige – nun unglückvoll vergehen – durch Bürger Könige—“

 
 

Beschreibung
Bei der vorliegenden Handschrift handelt es sich um die Abschrift eines prophetischen Textes von Pierre Turrel. In der Literatur wird zumeist erklärt, dass der Jurist, Theologe und Historiker Johannes Wolf (10.08.1537 Bergzabern – 23.05.1600 Mundelsheim) diesen Text zuerst edierte und 1600 der Forschung zugänglich machte [7]. Ähnliches liest sich auch zu Beginn in der hier vorliegenden Handschrift:

„Über diesen Mann führt Wolf Tom. III. seiner Lectionum memorabilium et reconditarum, Seite 237 an, daß er in seinen Schriften von Frankreich geweißaget habe […]“

Grundsätzlich ist an dieser Stelle anzumerken, dass kurz vor Johannes Wolf bereits Michael von Aitzing (um 1530 Schrattenthal – 1598 Bonn) in seinem Band „Appendicis Historicae Relationis Appendix. Das ist Ein weythere Historische veruolgung der händel vnd Geschichte so sich ferner haben zugetragen Biß auff den jetzt ablauffenden April. 1589“ (Cöln, 1598) auf diesen Text aufmerksam machte, was jedoch bisher unbeachtet ist. Ein interessantes Detail ist dabei, dass Aitzing zu Beginn noch einen weiteren Vers nennt, der sich so in der weiteren Literatur nicht mehr wiederfindet. So beginnt es dort mit: „Carcere detentus, Francisci nomine captus“ (S. 106).

Das Interesse an Turrels Prophezeiung blieb lange Zeit niedrig und erst ab dem späten 18. Jahrhundert setzte ein stärkerer Bezug darauf ein. Dies steht dann zumeist in engem Kontext zur französischen Revolution [8], welche Turrel, so die Lesart der deutschen Autoren, welche freilich der Revolution im Nachbarland kritisch gegenüberstanden, mit seiner Prophezeiung vorhergesagt haben sollte.

Die Darstellung dieser Prophezeiung ist in den ab 1800 erschienen Schriften erstaunlich ähnlich, wenn auch nicht ganz klar ist, welche Publikation hier der tatsächliche Urheber war [9]. Dieser Aufbau stellt sich jeweils wie folgt dar: es beginnt mit einer Wiedergabe des lateinischen Textes, der bereits eine längere Anmerkung zu einem Vers beinhaltet, hierauf folgt dann eine Übersetzung ins Deutsche, die zwei längere Anmerkungen beinhaltet, und manchmal schließt eine Kontextualisierung durch den jeweiligen Verfasser den Text ab.
Dieser Aufbau findet sich auch bei der vorliegenden Handschrift. Und es ist dabei interessant zu sehen, dass die drei Anmerkungen sich stets auf dieselben Stellen beziehen und zumeist auch denselben Wortlaut haben. Konkret geht es bei diesen Anmerkungen um folgende Punkte:

1) Der Vers „Multi sed reges, leges & religiones“ wird als „meisterhafter Vers“ gelobt [10]. Von besonderer Bedeutung ist nun aber, dass die vorliegende Handschrift an diesem Punkt eine Eigenart aufweist, da sie die Fußnote noch erweitert und damit schließt: „Eine Vernunft-Religion läßt sich subjectivisch gar nicht denken, so wie sich eine christliche denken läßt.“ Dieser letzte Satz konnte bisher in der Literatur nicht nachgewiesen werden und darf daher als singulär für die vorliegende Handschrift gelten. Was zugleich bedeutet, dass es sich hierbei nicht um eine bloße Abschrift handelt, da der anonyme Verfasser eigene Gedanken formulierte. Dass es sich um ein durchaus eigenständiges Zeugnis handelt, zeigt sich auch daran, dass die Übersetzung mitunter von den übrigen Übersetzungen (partiell) abweicht, ohne dadurch freilich den Sinn zu verändern.

2) Die königlichen Geschwister werden bei der deutschen Übersetzung zum Vers „und der dritte in der Reihe seiner Brüder“ aufgezählt. Auch hier erfolgt keine reine Abschrift der publizierten Darstellungen, sondern diese Handschrift weist durchaus eigene Formulierungen auf.

3) Die Übersetzung des Wortes „cadet“ beschäftigt dann nochmals sehr. Hier ist die vorliegende Handschrift etwas kürzer als die übrigen Texte, was aber auch wieder auf die Eigenständigkeit des Verfassers hinweist.

Obgleich der Verfasser dieser Handschrift anonym bleibt, so lässt sich über ihn doch sicher feststellen, dass er in dem betreffenden Gebiet gebildet war. Die eigenen Formulierungen, die eigenen Übersetzungen und schließlich auch die erwähnte, sonst nicht nachweisbare Anmerkung verweisen deutlich darauf. Deutlich ist auch, dass der Verfasser gegen die Französische Revolution eingestellt war. Und es lässt sich wohl auch noch weiter formulieren, dass er gegen die Aufklärung gerichtet war, wenn er eben schreibt: „Eine Vernunft-Religion läßt sich subjectivisch gar nicht denken, so wie sich eine christliche denken läßt.“

Bedenkt man, dass Turrels Prophezeiung Ende des 18. Jahrhunderts die ersten Male in deutschen Schriftwerken publiziert wurde, so dürfte der vorliegende Text ebenso in diese Zeit einzuordnen sein. Die meiste Nähe hat die vorliegende Handschrift bezeichnenderweise auch zu jener Darstellung von Christian August Behr, die 1794 publiziert wurde.
Es liegt damit ein sehr interessantes und authentisches Zeugnis vor, welches auf individualhistorischer Ebene Bezüge zur Französischen Revolution, der Aufklärung wie auch zur Esoterik erlaubt.

 
 

Quellen
[1] Johannes Wolf (10.08.1537 Bergzabern – 23.05.1600 Mundelsheim).
[2] Bei der bereits erwähnten Stelle bei Wolf ([1671]: 237) heißt es hier: „Corpore qui grandis, Rex tertius […]“.
[3] Bei Wolf ([1671]: 238): „ista“.
[4] Bei Wolf ([1671]: 238): „sane“.
[5] Bei Wolf ([1671]: 238): „lacerata“.
[6] Dieser letzte Satz der Anmerkung ist erstaunlich, da er sich so in keiner anderen Darstellung der Prophezeiung findet und daher als eigenständiges und eigenwilliges Zeugnis des anonymen Verfassers der vorliegenden Handschrift gelten darf.
[7]Vgl. hierzu bspw. a) Albert Steinbeck (1836): Der Dichter ein Seher oder über die innige Verbindung der Poesie und der Sprache mit dem Hellsehn; Leipzig: G.J. Göschen; S. 586. b) Justinus Kerner (Hrsg.) (1842): Magikon. Archiv für Beobachtungen aus dem Gebiete der Geisterkunde […]; 2. Bd.; Stuttgart: Ebner und Seubert; S. 58. c) Karl Kiesewetter (1895): Geschichte des Occultismus [II. Theil. Die Geheimwissenschaften]; Leipzig: Wilhelm Friedrich; S. 331 (Wobei hier anzumerken ist, dass Kiesewetter irrigerweise von dem Aufklärer Christian Wolff (1679-1754) und eben nicht von dem besagten Johannes Wolf ausgeht.)
Ein eher kritischer Bericht („Noch eine Weissagung auf die Französische Revolution“), der zudem die Authentizität der Prophezeiung in Frage stellt, findet sich in: Neue Berlinische Monatsschrift [Jänner bis Junius 1800, Dritter Band]; Berlin – Stettin: Friedrich Nicolai; S. 295-301. Wobei hier explizit anzumerken ist, dass der namentlich nicht genannte Verfasser davon ausgeht, dass diese Prophezeiung zuerst von Wolf ediert wurde: „Sie [d.h. die Verse] finden sich indeß zuerst bei keinem Französischen Schriftsteller, sondern in der gelehrt-abenteuerlichen Sammlung eines unsrer Landsleute, die schon auf dem Titel ‚Wunder, erstaunungswürdige Geheimnisse, Wahrsagungen‘ und dergleichen verspricht; in Joann. Wolfii Lectiones memorabiles“ (S. 298-299).
[8] Ganz deutlich liest sich dies bei Kiesewetter (1895: 331-332), daneben auch bei Georg Friedrich Daumer (1850): Religion des neuen Weltalters: Versuch einer combinatorisch-aphoristischen Grundlegung [Zweiter Band]; Hamburg: Hoffmann und Campe; S. 193-194. Sowie bereits sehr früh bei Christian August Behr (1794): Auswahl vorgeblicher Weissagungen älterer und neuerer Zeiten […]; Zeitz – Naumburg: Heinse; S. 215-220.
[9]Als sehr frühe und auch erstaunlich ausführliche Darstellung muss unbedingt die Darstellung bei Behr (1794) gelten (siehe Anm. 8).
[10] Siehe hierzu die Darstellung in: „Gallerie alter und neuer Propheten und ihrer Ausleger bis auf die Superintendenten Ziehe und Typke“; Zeitz: Webel 1800; S. 215-216. Und ebenso bei Kerner (1842: 58-59), sowie auch bei Behr (1794: 215-216).