U N B E K A N N T E R    K Ü N S T L E R :    Blick auf die Chiemgauer Alpen (wohl um 1850-60)

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Blick auf die Chiemgauer Alpen (wohl um 1850-60)
€ 2.300,-
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Technik
Bleistift auf drei Zeichenpapieren, diese vom Künstler zusammengeklebt zu der vorliegenden, großformatigen Ansicht, verso durch kleine Klebestreifen säurefrei auf Papier, gerahmt, unter Museumsglas

Titel
ohne Titel [Großformatige Zeichnung mit einem Blick auf die Chiemgauer Alpen. Der Standpunkt des Künstlers befand sich beim Adelholzener Kurhaus.] In der Zeichnung finden sich die Nummerierungen von 1 bis 15 und im oberen Bereich die dazugehörigen folgenden Bezeichnungen:
1) Sonntagshorn,
2) Reifelstein,
3) Maria Eck,
4) Mühlalpenkopf,
5) Hochfelln,
6) Hochgern,
7) Gleichenbergalm,
8) Gschwendalpe,
9) Baireralpe,
10) Engelstein,
11) Hochplatte,
12) Kampenwand,
13) Riesenberg,
14) Grassau,
15) Kronberger-Niederalpe.

Jahr
undatiert [wohl um 1850-60]

Signatur
unsigniert

Größe
Größe: 34,5 x 116,5 cm (Zeichnung) bzw. 47,5 x 128,5 cm (mit Rahmen)

Zustand
die drei Zeichenpapiere sind vom Künstler zu der vorliegenden, großformatigen Ansicht zusammengeklebt (teilweise ist die Bräunung der Klebung sichtbar); in den Blättern vertikale Knickspuren / Faltungen; durchgehend Druckstellen in den Blättern; Ecken / Kanten bestoßen; mitunter etwas (stock-)fleckig; insgesamt etwas nachgedunkelt; rechter Rand der Zeichnung etwas stärker knittrig und mit kleinen Einrissen; im Randbereich unten rechts kleiner Einriss, sowie im Bereich unten rechts kleiner Papierverlust (etwa 2x5mm)

 

 

Es liegt eine schriftliche Ausarbeitung von Dr. Johannes Erichsen (München, Präsident der Bayerischen Schlösserverwaltung a.D.) vor, der die Lokalisierung des Standpunkts ausführlich begründet und die künstlerische wie auch historische Bedeutung des Werkes hervorhebt.

 

 

Der hier vorliegende Blick auf die Chiemgauer Alpen besteht aus insgesamt drei Blättern, die der unbekannte Künstler zusammenfügte, um daraus eine opulente Ansicht zu erschaffen. Dass diese Ansicht aber weit über das rein Deskriptive hinausgeht und dazu noch einen individuell künstlerischen Wert aufweist, bezeugt die Detailfreudigkeit der Darstellung, wie auch die schöne und stimmige Ausführung der gezeigten Objekte. Besonders kann hierbei verwiesen werden auf die fein gezeichneten Gebäude, die lebhaften Baum- bzw. Walddarstellungen, sowie ganz allgemein den Umgang mit Licht und Schatten. Daneben aber fällt als ganz besonderes, möglicherweise persönlich beeinflusstes, Detail die Dame unten links deutlich ins Auge. Diese steht an einem metallenen Geländer, der rechte Arm ruht auf diesem und der Blick geht ruhig in die vor ihr liegende Landschaft. Der Kleidung der Dame nach zu urteilen dürfte das Werk in die Jahre um 1850-60 einzuordnen sein.

Der hier vom Künstler eingenommene Standpunkt wird nicht explizit genannt und kann demnach nur über den Umweg der bezeichneten, markanten Landschaftspunkte gesucht werden. Eine von Dr. Johannes Erichsen akribisch ausgeführte, schriftlich vorliegende, topographische Bestimmung kommt zu dem Schluss, „dass die hier erörterte Zeichnung vom Mittelbau des damaligen Kurhauses aus aufgenommen worden ist.“

Betrachtet man dieses so zart und detailliert ausgeführte Panorama, in dem es immer wieder etwas zu entdecken gibt, so wird umso mehr verständlich, was Friedrich Sauer 1874 in seinem „Führer in und um Adelholzen […]“ schrieb:

„Mit der Aussicht auf die in unmittelbarer Nähe gelegenen Gebirgskette mit den Bergriesen Hochfellen und Hochgern, verbindet sich in Adelholzen eine wunderbar schöne, weite Fernsicht, welche allein schon einen unvergeßlichen Eindruck hervorruft. Diese großartige und doch in ihrer Abwechslung liebliche Natur ist es, welche in seltenen Lichteffekten Tag um Tag neue, nie geahnte Bilder, vor den Blick des entzückten Beschauers führen.“ [1]

Und Friedrich Sauer macht noch weitere Ausführungen, die sich dezidiert auf das vorliegende Panorama beziehen lassen. So beschreibt er in dem Kapitel „Besuchenswerthe Plätzchen in der Nähe des Curhauses“ auch ausführlich und wortreich den Blick von der Terrasse des Kurhauses. Und so heißt es dann dort:

„Links gruppieren sich der Kienberg, an dessen Fuß das Dorf Inzell liegt, der Rauschenberg 5768´ hoch, dann das Sonntagshorn mit 6724´ mit seiner eigenthümlich pyramidalen Stufenform und der Reifelstein.
Vor diesem liegt der Distelbachberg, von welchem der so besuchte schöne Wallfahrtsort mit seinem netten Kirchlein Maria Eck freundlich heruntergrüßt.
Der Terasse gegenüber sind die beiden Bergriesen Hochfelln 5695´ und Hochgern 5954´ zu deren Vorhügeln der gleich einer Burgruine in Sicht stehende Engelstein zählt.
Von diesen rechts die Bayer-Alpe. Nach dieser Seite reicht der Ausblick bis auf das vier Wegstunden entfernte Dörfchen Graßau. Ueber diese Ebene, an welche sich das Marquartsteiner oder Graßauerthal anschließt, schauen nachstehende Berge, die hohe Platte, der Hochkampen 5666´ der Suttenbrand, die Gedererwand herüber.
Dieses so herrliche Panorama ist gleichzeitig der Schauplatz jener, hier so häufigen wunderbaren Lichteffekte.
Wer immer dieselben bei Herannahen eines Gewitters oder nach demselben sah, wird diesen Moment nie vergessen.
Wohl nur wenige der Gäste verlassen Adelholzen, ohne vor ihrem Abschied noch einmal sinnend an diesem Platze zu stehen, um sich bis zur Wiederkehr den so liebgewonnenen Ausblick in der Seele fest zu halten und in der Ferne oft sich zurück zu versetzen auf die Terasse von Adelholzen.“ [2]

Schon zuvor hat der frühere Kurhaus-Besitzer Georg Mayr diesen Ausblick von der Kurhaus-Terrasse ausführlich beschrieben und bei ihm klingt dies folgendermaßen:

„[…] überblickt man aber von der Terasse des Curhauses die ganze vorliegende Landschaft, so hat man ein vollendet schönes Naturbild vor sich, in dessen Anschauung man nie müde wird.

Links bei der Einfahrt von Alzing her ist die Johanniskapelle, artig zwischen Bäumen gruppirt, über welche man der südöstlich herüber ragenden Kuppen von Rauschenberg, Sonntagshorn und Reifelstein [sic] ansichtig wird. Das auf dem Fürberge anmuthig nach Süden liegende Maria-Eck mit der Wallfahrtskirche, wohin man von Adelholzen eine kleine Stunde zu gehen hat, verschönert die Landschaft, und gibt immer ein weißes Bild auf dunkelgrünem Grunde, den der dahinter sich ausbreitende, waldbewachsene Dießlberg präsentiert.
Die vom Curhause geradehin gegen Südwesten situierten, in einer innig verschlungenen Weise sich zeigenden Gebirgsmassen, die von den beiden Wolken-Trägern Hochfeln [sic] und Hochgern dominirt werden, bilden einen symmetrischen Altar zur feierlichen Anbetung des allmächtigen Schöpfers der großartigen Natur. Zur Rechten erblickt man einen Gegenstand auf dem Gipfel eines Vorberges als Seitenstück zu Maria-Eck, der das Aussehen von den Ruinen einer alten Ritter-Burg hat, aber nichts weiter ist, als natürlich entstandene Zacken von Kalkfelsen, die in jeder Stunde des Tages bei veränderter Richtung von Licht und Schatten eine andere Gestalt zu haben scheinen. Diese Felsengruppe wird der Engelstein genannt; es wurden einmal Bausteine dort gebrochen, und deßwegen von Maxhütte eine gut fahrbare Strasse dahin angelegt. Oberhalb zeigt sich die Beureralpe [sic]. Eine halbe Stunde unterhalb an diesem Wege liegt auf der Höhe das Dörfchen Pattenberg.

Den Schluß des Panoramas macht der Grassauer Gebirgsstock jenseits des Marquartsteiner Thales, dessen höchste Alpenköpfe, der Hochplatten, die hohe Kampen, der Suttenbrand und die Gedererwand es dem Hochriß, zwischen Aschau und dem Inn gelegen, nicht mehr recht gestatten wollen, zu uns herüber zu schauen.
Das Grassauer Gebirge vermehrt mit seinem am Fuße liegenden Pfarrdorfe Grassau und anderen uns sichtbaren Oertern die landschaftlichen Reize, und zeigt uns auf ihren Abdachungen der Vorberge eine Menge grünender Pläne und Alpen abwechselnd zwischen Wald und Felsparthien, daß man bei heiterer Luft an 25 Alpenhütten im Sonnenlichte herüberglänzen sieht, und mit guten Fernröhren sogar das weidende Vieh zu zählen vermag.“ [3]

Diese beiden Textauszüge von Georg Mayr (1849) und Friedrich Sauer (1874) wirken jeweils wie eine treffliche Beschreibung des hier vorliegenden Panoramas. Dr. Erichsen hat dies zu einer interessanten Überlegung gebracht, wenn er vor diesem Hintergrund schreibt:

„Gewiss war der damalige Sprachgebrauch noch schwankend und beim Text ist auch mit Fehlern des Setzers zu rechnen – dennoch sind die Übereinstimmungen auffällig. Insgesamt gewinnt man den Eindruck, der Zeichner habe den Text von Mayrs Büchlein gekannt und versucht, des ‚Badbesitzers‘ Beschreibung der Aussicht möglichst genau in ein Bild zu übersetzen, und er habe vielleicht gar in Mayrs Auftrag gehandelt. Mayr könnte die Zeichnung durchaus selbst in Auftrag gegeben haben, vielleicht als Vorlage für eine Graphik zur weiteren Werbung oder für eine (offenbar nicht zustande gekommene) Beilage zu den späteren Ausgaben seiner ‚Beschreibung‘.“

Abschließend beurteilt Dr. Erichsen dieses Rarissimum wie folgt:

„Insofern ist das Blatt nicht nur als qualitätvolle Landschaftsdarstellung von Interesse. Es hat vielmehr darüber hinaus historische Bedeutung als singuläres Zeugnis für das Badewesen in Bad Adelholzen in der Mitte des 19. Jahrhunderts, das materiell und ideell den Grund für den späteren Aufstieg der Mineralquellen zu ihrer heutigen Bedeutung gelegt hat.“

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[1] Friedrich Sauer (1874): Führer in und um Adelholzen, Wildbad in Oberbayern, München: Dr. Wild´sche Buchdruckerei, S. 2.
[2] Ebd.: 16-17.
[3] Georg Mayr (1849): Beschreibung des Wildbades Adelholzen nebst seinen Umgebungen, München: J.G. Weiß, S. 56-57.