R I C H I L D   H O L T

 

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„Selbstporträt mit Tod und Putto II“ (2011)

Öl und Acryl auf Leinwand, Keilrahmen, frei in schlichter Atelierleiste
u.r. datiert „2011“
u.r. signiert „Richild Holt“

Leinwandgröße: 101 x 76cm
Rahmengröße: 104 x 78,8cm (mit Rahmen)

€ 4.700,-

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Zustand
sehr schöner Zustand; Atelierleiste an wenigen Stellen sehr leicht berieben

 

 

„Im August 1987 diagnostizierten Ärzte bei Richild von Holtzbrinck Krebs: In ihrer linken Brust wuchsen mehrere Tumoren, einer davon gehörte zu einem Typus, der dazu neigt, spiegelbildlich aufzutreten. Die niederschmetternde Prognose lautete, dass die Malerin vielleicht noch zwei Jahre zu leben hätte.
Ein Fehlurteil, wie sich zeigte, denn trotz seiner Größe hatte der Krebs glücklicherweise keine Metastasen gebildet. Um das Risiko einer erneuten Krebserkrankung zu minimieren, ließ sich die Künstlerin schließlich auch ihre rechte Brust entfernen“ („Metamorphose. Ein Interview mit Richild von Holtzbrinck“, unpag. [S. 1], Beilage zu: Deutsches Krebsforschungszentrum (2018): Metamorphose. Kunstwerke von Richild von Holtzbrinck; Heidelberg: ZVD).
Die notgedrungene, signifikante Veränderung des eigenen Körpers hielt die Künstlerin zwischen 1986 und 1990 in einer Reihe von Selbstbildnissen fest. Das Malen war dabei eine Möglichkeit, um selbst die Gegebenheiten zu verarbeiten. Und in einem weiteren Schritt half es auch der Familie, Freunden und Bekannten zu verstehen. Trefflich schreibt sie im Sommer 1991 hierzu: „Art is my way of living, seeking truth, and truth cannot be prettied up. What happened to me happens to an increasing number of women: breast-CANCER” (Brief abgedruckt in: Richild Holt (1991): Paintings and Drawings. Caesura; Stuttgart: Cantz; unpag.).
Die damals entstandenen Werke befinden sich heute im Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg.
Das vorliegende Gemälde entstand im Jahr 2011 und damit 25 Jahre nach dem ersten Selbstbildnis aus dem oben beschriebenen Zyklus, was werksbiografisch bereits auf die exponierte Stellung dieser Arbeit verweist.
Vor einem schwarzen Hintergrund, der im oberen linken Bereich, sowie partiell am rechten Rand mittig, durch grüne und blaue vegetative(?) Konturen durchzogen und aufgelockert wird, treten drei Figuren in Erscheinung. – Die Künstlerin selbst, ein Skelett und ein Putto. Diese mögen bereits hier als eine in mehreren damaligen Werken auftauchende Trias identifiziert werden: Eros – Sexus – Thanatos. Insbesondere ist hier die Werkreihe ‚Tod und das Mädchen‘ der Jahre 2011 und 2012 zu nennen. An dieser Stelle ist unbedingt zu verweisen auf den unveröffentlichten Vortrag „Eros – Sexus – Thanatos“, den die Künstlerin bei der Tagung der „Deutschsprachigen Gesellschaft für Kunst und Psychopathologie des Ausdrucks“ (DGPA) vom 24. bis 27. Oktober 2013 in Wien hielt.

 

Die leicht versetzte Halbfigur der Künstlerin steht im unmittelbaren Vordergrund. Der Kopf bildet das Zentrum des Werks, wogegen der Körper aufgrund der Armhaltungen nach rechts zu tendieren scheint. Die rechte Hand lehnt auf dem unteren Bildrand und umgreift zugleich zu den Bauchbereich, während die linke einen Pinsel haltend, fast schon suchend, ertastend zur Brust geht. Und wie auch in anderen Bildnissen sind es gerade die Hände, die besondere Aufmerksamkeit erfahren. Kraftvoll, dynamisch in der Farbgebung und zugleich sanft und zärtlich in der Form.
Links hinter der Künstlerin steht das Skelett, der Knochenmann, der Tod. Beide Arme umgreifen jene und lassen ebenso wie die Proxemik, die man zweifelsohne nur als dicht beieinander beschreiben kann, an ein enges, fast schon liebevolles, vielleicht gar vertrautes Verhältnis denken. Insbesondere der dezent zur Künstlerin geneigte Kopf, aber in Teilen auch der Hals und die Rippen erhalten durch den Einsatz blauer Farbtöne ein ganz eigenes Kolorit, wodurch das Skelett differenziert und der Tod damit auf eine subtile Weise vital, emotional erscheint.
Interessant ist an diesem, den Großteil der Bildfläche einnehmenden, Duo, dass der Tod zwar auf die Künstlerin eingeht, diese aber von dem Tod keinerlei Notiz zu nehmen scheint. Anders formuliert: denkt man sich das Skelett weg, bliebe noch ein eigenständiges Selbstbildnis; denkt man sich dagegen die Künstlerin weg, bliebe das Skelett mit einer inhaltsbedürftigen Leerstelle. Ob dies nur einen Moment der Aufmerksamkeitsverschiebung malerisch darstellt, oder ob es eine erhoffte bzw. anzustrebende Gewichtung an sich symbolisiert, bleibt dem Betrachter freigestellt.
Den Abschluss der Trias bildet der Putto im oberen rechten Bildbereich. Gerade der Bogen verweist hier unweigerlich auf Eros, der hier zwar über der Künstlerin fliegt, doch mit all seiner Körper- und Kopfhaltung viel mehr Interesse für das Skelett bekundet.
Zudem ist der ernste, starre, keinesfalls fröhliche Gesichtsausdruck nur schwerlich mit dem ansonsten doch schönen, liebreichen Auftrag von Eros in Zusammenhang zu bringen. Er wirkt flapsig formuliert wie ein ‚Wolf im Schafpelz‘, wie ein drohendes Menetekel, das über der Künstlerin schwebt und schon längst mit dem Tod – dem ‚neuen Gott‘ (Wolfgang Borchert) – eine infauste Verbindung eingegangen ist.
Die Künstlerin selbst schildert wie sie von dem eigentlichen Duo Sexus (Künstlerin) und Eros (Putto) unter Zunahme von Thanatos (Skelett) zu eben jener Trias kam:
„Denn Eros, der freche kleine Putto, dargestellt auf wunderbaren Bildern besonders von Vélasquez und Lucas Cranach – und Thanatos arbeiten zusammen. Sie sind ein Team!
Eros schießt seinen Pfeil ins Herz des Menschen, der in Liebe entbrennen soll. Worauf dieser genau das tut. Das alles hat den Zweck, ein Kind zu zeugen, das wiederum von Anfang an moribund ist“ (zitiert aus dem unveröffentlichten Vortrag „Eros – Sexus – Thanatos“).

 

In seiner rationalen, emotionslosen, rein intellektuellen Art mag der Gedanke wie eine Reminiszenz an Iwan Karamasow aus Dostojewskijs „Brüder Karamasow“ anmuten. Dieser entwirft gerade gegenüber seinem Bruder Aljoscha immer wieder gedankliche Konstruktionen und philosophische Annahmen, die in einem hoffnungslosen Nihilismus und schließlich eo ipso in das Weltbild eines ‚Großinquisitors‘ münden.
Doch mag dieser erste kalt wirkende Anklang sich nicht zu halten. Viel zu gefestigt, viel zu selbstbewusst wirkt die Künstlerin. Viel zu deutlich wendet sie sich dem Betrachter, dem Leben zu und damit vom Tod ab. Eher muss womöglich das heutzutage kollektive Bild des Todes als Schreckensgestalt hinterfragt werden, um sich adäquat diesem Motiv nähern zu können. Dass der Tod ferngehalten wird und in dem (Alltags-)Leben möglichst nicht erscheinen soll, ist ein Charakteristikum der letzten vergangenen Jahrzehnte. Doch ist der Tod vielmehr als allein ein Vernichter des Lebens. Macht er doch ebenso aufmerksam auf das, woran das Herz eines jeden Menschen ganz persönlich hängt. Es ist eine andere Möglichkeit des Umgangs mit dem Tod, als wie sie der Buddhismus aufzeigt, nach dem der Mensch so lange den Tod als Leiden empfinden wird, so lange des Menschen Herz an etwas oder jemandem hängt. Diese Ausschaltung oder auch Negierung von Eros hat Richild von Holtzbrinck nicht im Sinn. Stattdessen möchte man an den Topos des großen und gewichtigen memento mori denken, wodurch der Tod ganz dezidiert in das Leben einbezogen wird, um durch diese Gewissheit um die Vergänglichkeit in einem Umkehrschluss das Leben tiefer, inniger und bewusster zu führen. Es ist eine Mahnung, ein Weckruf an die ‚schlafend Lebenden‘ aufzuwachen, tatsächlich zu leben, um der wohl für den Menschen schmerzvollsten Erkenntnis zu entgehen, wie sie Tolstoi in der Person des Iwan Iljitsch ausdrückt:
„Wie, wenn mein ganzes Leben am Ende doch nicht das gewesen ist, was es hätte sein sollen?“

 

 

Zu Richild Holt (recte: Richild von Holtzbrinck) (geb. 1941 in Kärnten):
Malerin, Zeichnerin; 1948 Umzug der Familie nach Osnabrück, dort Besuch des Gymnasiums für Mädchen St. Angela; es entstehen zu dieser Zeit erste Zeichnungen; 1956 Trennung der Eltern und die Mutter zieht mit den drei Töchtern nach Tirol; dort Besuch des Gymnasiums in Innsbruck, wo die Zeichenlehrerin Hertha Lischke prägenden Einfluss hat; 1960-62 Besuch der „Fachschule für Wirtschaftswerbung“ in Wien; 1962-68 Tätigkeit in der freien Wirtschaft; 12.03.1968 Heirat mit Dieter von Holtzbrinck und Umzug nach New York; 1968-69 Studium an der New School for Social Research (New York City); 1969-75 Geburt der drei Kinder; 1981-85 Besuch der Kunstakademie Stuttgart; im Januar 1987 erste Ausstellungsbeteiligung (Mussavi Arts Center, New York); August 1987 Krebsdiagnose und die Künstlerin lässt sich aus Vorsicht beide Brüste abnehmen; 1986-90 es entstehen die ersten Selbstbildnisse des „Metamorphose-Zyklus“ (heute ausgestellt im „Deutschen Krebsforschungszentrum“, Heidelberg); bis Mitte der 1990er Jahre eher dunkles Kolorit („schwarze Phase“), was sich danach deutlich aufhellt; ab 1997 geht sie in „zeichnerischer Malerei“ der Frage nach wie sich eine schnelle sicher erfasste Linie mit Malerei verbinden lässt; 2001 Scheidung der Ehe; 2001 Besuch der Sommerakademie in Salzburg (Kurs bei Xenia Hausner)

Als Vertreterin der figurativen Malerei widmet sich die Künstlerin vor allem dem menschlichen Porträt und dem Selbstporträt. Sie porträtierte u.a. Helmut Schmidt, Edward E. Booher, Rosa von Praunheim, Bel Kaufman, Renate Merklein, Esther Goshen-Gottstein, Fritz Leonhardt, Helmut Engler, Teddy Kollek, Franz Effenberger, Karl Schiller, Horst Stern.

Daneben entstehen auch Landschaften und eindrucksvolle Stillleben.

Richild von Holtzbrinck lebt und arbeitet in Stuttgart.

Einzelausstelllungen
1987 Musavi Arts Center, New York; 1989 The National Arts Club, New York; 1991 Galerie Efté, Paris; 1992 Galerie Rondula, Wien; 1993 The Jerusalem Theater, Jerusalem; 1994 MB-ART Galerie, Stuttgart; 1995 Kammertheater Stuttgart; 1996 Wendelin Niedlich, Stuttgart; 1998 Carola-Blume-Saal, VHS Stuttgart; 1999 National Museum, Prag; 2000 Apfelbaum Galerie im Kongresshaus Baden-Baden; 2002 Galerie Stuker, Zürich; 2003 Galerie Rondula, Lienz; 2005 Rehabilitationskrankenhaus Saulgau (»Sports«). Dauerausstellung bis 2010; 2006 The National Arts Club, New York; 2006 Literaturhaus Stuttgart; 2008 DGPA (Deutschsprachige Gesellschaft für Psychopathologie des Ausdrucks und Kunst), Basel: Zeichnungen „Psychiatriepatienten“; 2009 Kunstverein Wasserschloß Bad Rappenau e.V – Galerie Steiner; 2010 Katharinenhospital Stuttgart „Sports“; 2012 Katharinenhospital Stuttgart „Eros und Thanatos“; 2012 Katharinenhospital Stuttgart „Portraits“; 2014 Katharinenhospital Benefizausstellung; 2017 Katharinenhospital Benefizausstellung „Ungezeigte Bilder“

Gruppenausstellungen
1986 Mussavi Arts Center, New York; 1987 ART EXPO, New York; 1989 Sommerausstellung, East Hampton Museum, Long Island; 1992 Retrospektive Ausstellung der Galerie Efté, Paris; 1993 Galerie Rondula, Lienz, Österreich; 1993 Kultur Forum Europa, Schloss Nörvenich bei Bonn; 1994 Möhringer Bank mit MB ART Galerie, Stuttgart; 1995 MB-ART Galerie, Stuttgart; 2000 KK Galerie, Essen / Release und Kunst, Stuttgart / Galerie Ruländer, Worpswede; 2001 DGPA (Deutschsprachige Gesellschaft für Kunst und Psychopathologie des Ausdrucks e.V.), München; 2005 DGPA (Deutschsprachige Gesellschaft für Kunst und Psychopathologie des Ausdrucks e.V.), München; 2006 Galerie Richter & Masset, München „Ball-Künstler“; 2007 Galerie NOAH im Glaspalast, Augsburg

Mitgliedschaften
Ehrenmitglied der „Deutschsprachigen Gesellschaft für Kunst und Psychopathologie des Ausdrucks“ (DGPA); Ehrenmitglied des National Arts Club, New York; 1988-2005 Mitglied des Vorstands des Galerievereins der Staatsgalerie Stuttgart; 2006 Ehrenmitglied des Galerievereins der Staatsgalerie Stuttgart; Ab 2006 Mitglied des Vorstandes der Freunde des Literaturhauses Stuttgart.

Lehrtätigkeit
1995 – 2001: Akt, Malen und Zeichnen, VHS Stuttgart; 1995 – 2001: Freies Zeichnen: Merz-Akademie Stuttgart; 2005 – 2007: Akt: Malen und Zeichnen, Kunstakademie Esslingen; 2008 – 2013: Workshop für Psychatriepatienten, Rudolph Sophien Stift Stuttgart

Veröffentlichungen
1995, „Ich ändere nie die Nase“ – Sehen, Gesehenwerden und Sichtbar- machen beim Porträtieren und in der Psychotherapie (zusammen mit Walter Pöldinger, mit einem Vorwort von Hartmann P. Hinterhuber); Reinbek: Rowohlt Verlag

Werke
Werke befinden sich neben privaten Sammlungen u.a. im Besitz von: Stiftung Historische Museen Hamburg – Museum für Hamburgische Geschichte; Museum of Women in the Arts, Washington, DC.; Deutsches Krebsforschungszentrum, Heidelberg; Universität Stuttgart; Ministerium für Wissenschaft und Kunst in Baden-Württemberg; National Arts Club, New York

Literatur
The National Arts Club (2006): Richild Holt. A View of Life, New York and Love of the Soul [Katalog zur Ausstellung vom 07.-24. Dez. 2006]; Ostfildern: Cantz
Koskull, Maximilian von (Hrsg.) (2022): Richild Holt. Farbe und Linie, München: Schillo
Deutsches Krebsforschungszentrum (2018): Metamorphose. Kunstwerke von Richild von Holtzbrinck; Heidelberg: ZVD
National Museum of Prague (1999): The Islands of Richild Holt at the National Museum; Prague: Decibel
Dreifuss-Katan, Esther (1993): Krebs. Kreativität und Selbst-Heilung; Frankfurt a.M.: Fischer; S. 168-173
Richild Holt (1994): Paintings and Works on Paper 1990-1993; Leck: Clausen & Bosse
Richild Holt (1994): Paintings and Works on Paper 1991-1993. Sports; Leck: Clausen & Bosse
Richild Holt (1991): Paintings and Drawings. Caesura; Stuttgart: Cantz
Richild Holt (1991): Paintings and Drawings 1988-1990; Stuttgart: Cantz
Richild Holt (1989): Paintings and Drawings; Stuttgart: Cantz
“Allgemeines Künstlerlexikon” (AKL), Onlineversion, Künstler-ID: 40576322