J O S E F    S E I D L – S E I T Z    (eigentlich: Josef Seidl, 09.03.1908 München – 01.12.1988 ebd.)

 

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Ansicht aus Ischia (Forio) mit der Chiesa di San Gaetano (um 1955)

Aquarell auf Aquarellbütten, ungerahmt
unten rechts in Blei signiert „Seidl-Seitz“

€ 630,-

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Titel
ohne Titel [Ansicht aus Ischia (Forio) mit der Chiesa di San Gaetano, hierzu unten links in Blei bezeichnet “Ischia”]

Entstehungsjahr
undatiert [um 1955]

Größe
Größe: 33,1 x 45,8 cm

Zustand
technikbedingt sehr leicht wellig; Ecke unten rechts und Ecke oben rechts jeweils mit minimalen Papierverlust; Ecke unten rechts mit kleinem Knick; in den oberen beiden Ecken jeweils kleine Klebereste früherer Befestigung

 

 

Josef Seidl-Seitz stammte aus einfachen Verhältnissen und für ein uneheliches Kind war es zu Beginn des 20. Jahrhunderts keinesfalls üblich dem Wunsch Künstler zu werden so vehement nachzugehen. Nach dem Besuch der Volksschule, absolvierte er eine Schreinerlehre und während dieser Zeit kam er mit der „Arbeiterjugend“ in Kontakt. Für ihn bedeutete dies vor allem, dass er mit Kunst und Kultur in Verbindung kam, er las viel und sah Kunst. Diese außergewöhnliche Neigung des Jungen wurde von Prof. Helmut Berve erkannt, der ihn daraufhin förderte. Beide unternahmen 1927 eine Italienreise und auch bei dem ab 1933 begonnenen Studium an der Münchner Akademie wurde er von Prof. Berve unterstützt.
Im Zweiten Weltkrieg wird Seidl-Seitz als Soldat eingesetzt und schwer verwundet. Er kommt 1945 nach München zurück und findet sein Atelier durch Bombenangriff zerstört und sein bisheriges Schaffen vernichtet. Nur langsam kann er sich zusammen mit seiner 1946 angetrauten Frau Olga eine bescheidene Existenz aufbauen. Er malt weiterhin, doch ist er bereit jede ihm gebotene Arbeit anzunehmen. Dies ändert sich auch in den späteren Jahren nicht und so arbeitet er von 1950 bis 1958 halbtags als Schreiner und bis 1973 ist er zudem als Hilfsarbeiter tätig. Während dieser Jahre unternimmt er immer wieder Reisen zum Mittelmeer. Anfangs ist es vor allem Elba, das ihn reizt, doch hierauf entdeckt er dann Ischia für sich und es entstehen Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen.

Das vorliegende, farblich ganz wunderbare, expressiv realistische Aquarell zeigt eine solche Ischia-Ansicht. Josef Seidl-Seitz befindet sich hier an der Westseite der Insel in bzw. bei Forio auf einer leichten Anhöhe und schaut durch zwei alte Mauerstücke hindurch in die weite Landschaft. Ganz zentral und hell ausgeführt zeigt sich die Chiesa di San Gaetano, eingerahmt von grüner Vegetation. Das dunkelblaue Meer ist in Form eines kleinen Streifens am Horizont zu erkennen, an den sich der zartblaue, zartviolette Himmel anschließt. Dieses sanfte Violett findet sich zugleich im Vordergrund bei den Schatten der Mauern, was dem Ganzen eine eigentümliche Stimmung verleiht.

Seidl-Seitz beschreibt eine solche Ischia-Erfahrung in einem Gespräch folgendermaßen:

„Wir haben bei einem Bauern in Forio gewohnt, auf der Westseite, das war damals malerisch sehr schön, der Werner Gilles war auch dort. Etwas in der Höhe war das. Der Epomeo, das ist der höchste Berg, auf den sind wir gestiegen. Der letzte Ausbruch, an den haben sich die Leute noch erinnert, weil da sind viele umgekommen und deshalb war der Berg tabu. Da war kein Mensch. Da ist eine Ruhe. Mittags um zwölf – eine Hitze. Die Farben hier waren grau-braun, als wenn 5000 Jahre lang nichts wie Staub drauf wäre. Und Weiß. Je höher wir hinauf sind, umso unerbittlicher ist die Hitze geworden und das weiße Licht, das erinnert mich so unbandig[sic] an Camus und seine Geschichten aus Algier. Da geht so eine Straße hinauf mit zwei Mauern aus Lava-Stein, die sind auch ganz heiß. Und auf einmal steht da so eine kleine Kapelle, mit einer blauen Madonna drin, und da brennt dann noch ein elektrisches Licht, nur eine Glühbirne, ganz nackt, ohne gar nix. Und diese Atmosphäre und das elektrische Licht und diese Hitze dazu, also das ist so unheimlich weiß, das ist wieder wie beim Dante, beim Schluß von der ‚Göttlichen Komödie‘, und wie in meinem Traum, wo sich des[sic] Skelett in hellem weißen Licht auflöst. Das ist dieser wahnsinnige Unterschied für mich zwischen Elba und Ischia.“ [1]

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[1] Katz, Anne Rose (1983): Ich mach mir mein eigenes Licht. Josef Seidl-Seitz – ein deutsches Künstlerleben, München: Obalski & Astor, S. 163.

 

 

Zu Josef Seidl-Seitz (eigentlich: Josef Seidl, 09.03.1908 München – 01.12.1988 ebd.):
Maler, Zeichner, Grafiker; uneheliches Kind der Bürstenmacherin Maria Seitz und des Metzgers und späteren Hilfsarbeiters Josef Seidl; aus finanzieller Not wurde das Kind zu einer Kostfrau nach Perlach gegeben, von dort wurde es von einer Tante (Schwester des Vaters) aufgenommen und dort blieb er; die kinderlose Tante wohnte mit ihrem Mann in einer Mietskaserne in dem Arbeiterviertel Haidhausen; Besuch der Volksschule; 1922-25 Schreinerlehre und währenddessen aktiv in der „Arbeiterjugend“, ist danach aber arbeitslos; 1926 Begegnung mit dem Althistoriker Prof. Dr. Helmut Berve, der begabte Arbeiterkinder förderte; 1927 Italienreise (Rom, Neapel, Capri, Sorrent, Messina) zusammen mit Prof. Berve; anfangs Besuch von Kunstkursen an der Volkshochschule; 1933-39 Studium an der Münchner Akademie (bis 1937 Malerei bei Karl Caspar und nach Caspars Entlassung bis 1939 in der Radierklasse von Adolf Schinnerer), wobei ihm Prof. Berve das Studium finanzierte; 1934 wurde er als Sozialist und „engagierter Gewerkschafter“ (Marlies Schmidt) einige Wochen von der Gestapo inhaftiert; 1935-37 gemeinsames Landschaftsmalen mit Alois Seidl; 1937 besucht er häufig und intensiv die „Entartete Kunst“-Ausstellung in München; 1938-39 Reise auf einem Walfangschiff in die Antarktis; 1940-45 Partisaneneinsatz in Russland mit schwerer Verwundung; 1944 Ausbombung des Ateliers und Vernichtung eines Großteils des damaligen Schaffens; 1946 Heirat mit Olga, geb. Habermann, die er seit 1933 kannte; 1950-58 ist er aus finanziellen Gründen halbtags als Schreiner tätig und bis 1973 war er weiterhin Hilfsarbeiter; ab etwa 1950 zahlreiche Reisen nach Ischia, Elba, Rom, Venedig; 1958 ist er Mitgestalter der 800-Jahr-Feier der Stadt München; ab 1965 entstehen zahlreiche Holzschnitte

Mitgliedschaften
1945-46 Mitbegründer der Künstlergruppe „Pavillon“
ab 1946 „Münchner Künstlergenossenschaft“ (MKG)

Preise
1959 Villa-Massimo-Stipendium
1971 Bundesverdienstkreuz 1. Klasse
1972 Seerosenpreis der Stadt München

Werke befinden sich neben privaten Sammlungen u.a. im Besitz von: Lenbachhaus, München; Bayerische Staatsgemäldesammlungen; Kunstsammlungen der Veste Coburg; Kunstmuseum Solingen; Sammlung Dr. Gerhard Schneider, Olpe; Sammlung Joseph Hierling, Tutzing

Literatur
— Gruber, Gerd: Josef Seidl-Seitz, in: “Allgemeines Künstlerlexikon” (AKL), Onlineversion
— Katz, Anne Rose (1983): Ich mach mir mein eigenes Licht. Josef Seidl-Seitz – ein deutsches Künstlerleben, München: Obalski & Astor
— Zimmermann, Rainer (1994): Expressiver Realismus. Malerei der verschollenen Generation, München: Hirmer, S. 446