E R W I N O E H L (10.06.1907 Thalmässing – 22.11.1988 München)
Szene mit Straßenhändlern (in Paris?) (1939)
Öl auf Platte, originaler Künstlerrahmen
unten rechts signiert „Erwin Oehl“
unten rechts datiert „[19]39“
Größe: 66,1 x 54,3 cm (mit Rahmen) bzw. 59,9 x 48,8 cm (ohne Rahmen)
ohne Titel; Szene mit Straßenhändlern (in Paris?)
2.400€
Zustand
Plattenränder und -ecken bestoßen und berieben (unter Rahmung nicht sichtbar); in der Bildmitte (etwa in der Bildmitte des Grüns der Bäume) kleiner Verlust der Farbschicht (etwa 1x1mm); im Bereich unten links (etwas unterhalb der rechten Hand des sitzenden Mannes) kleiner Verlust der Farbschicht (etwa 1x1mm); partiell leicht fleckig
Platte verso berieben und etwas fleckig
Werkbeschreibung
Erwin Oehl wuchs als Apothekerssohn im beschaulichen Thalmässing auf. Neben seinem Interesse für Kunst und Kultur, beschäftigte ihn schon früh die soziale Frage. Er entschied sich für eine künstlerische Laufbahn und besuchte hierzu die Akademien in München, Wien und Berlin. Ab 1930/31 lebte er als freischaffender Künstler in München-Schwabing (Pündterplatz 1) und war daneben sehr aktiv in linkspolitischen, kommunistischen Kreisen. Um 1930 wurde er KPD-Mitglied und 1932 war er Gründungsmitglied der Münchner Ortsgruppe der „ASSO“. Erwin Oehl trat zudem auch als Redner bei öffentlichen Veranstaltungen auf.
Dass dieses Engagement nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten nicht unbeachtet blieb, zeigte sich in der im März 1933 erfolgten Verhaftung. Zusammen mit seiner späteren Frau Louise Brod (1907-1999) wurde er in Schutzhaft genommen und schließlich am 13. März 1933 in die Festung Landsberg verbracht. Am 7. April 1933 entließ man ihn aufgrund der Führsprache Gregor Strassers, den er seit seiner Kindheit kannte, wie auch wegen einer schweren Erkrankung seines Vaters aus der Haft – Louise blieb dagegen noch bis Dezember 1933 inhaftiert. Erwin Oehl erhielt jedoch ein Aufenthaltsverbot für München und zog folglich zurück zu seiner Familie nach Thalmässing.
Oehls politische Einstellung war in seinem kleinen Heimatort zweifelsohne bekannt und es gab Repressalien und Ausgrenzung. Zwei Jahre später (1936) emigrierte das junge Paar nach Frankreich, wo sich Oehl weiterhin politisch und auch künstlerisch betätigte. Das Paar hatte Kontakt zu anderen Emigranten, es entstanden Künstlergruppen zur gegenseitigen Unterstützung und Ausstellungen wurden organisiert. Es folgten in den nächsten Jahren – in nuce! – noch Haft, Flucht, erneute Inhaftierung und Auslieferung nach Deutschland, bevor der Krieg schließlich endete.
Das hier vorliegende Gemälde entstand während der Exilzeit in Frankreich. Es datiert auf 1939 und dürfte dem Himmel und dem Grün der Bäume nach zu urteilen im (Früh-)Sommer gemalt worden sein – der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges liegt demnach noch wenige Monate in der Zukunft.
Erwin Oehl zeigt einen wohl nach Paris zu verortenden Platz mit regem Treiben und Menschenmengen. Straßenhändler, Trinker, Passanten und im Hintergrund wohl auch Soldaten bestimmen den mittleren und hinteren Bildbereich. Während diese vornehmlich in matten, erdigen Tönen gemalt sind, stechen die beiden jungen Frauen mit ihren farbprächtigen Kleidern deutlich heraus. Die mitunter leicht pastos aufgetragene Farbe bei diesen Beiden unterstreicht diese Hervorhebung nochmals. Eng aneinandergeschlungen schlängeln sie sich durch die ansonsten trist wirkende Szenerie. Ihre Blicke sind dabei auf die am Boden liegenden zum Verkauf angebotenen Stücke gerichtet. Unweigerlich folgt der Betrachter diesen Blicken und sieht dort Flaschen, eine Lampe, eine Vase, einen goldenen Bilderrahmen (in dem sich Signatur und Datierung befinden), eine nackte Babypuppe, sowie ein aufgestelltes Violoncello auf dessen Schnecke erstaunlicherweise ein Militärhelm hängt.
Es ist dann auch dieser Militärhelm, der als feines, subtiles Detail angesehen werden kann. Die Pickelhaube weist ihn deutlich als deutschen bzw. preußischen Helm aus. Gänzlich unbeachtet, lieblos und geradezu grotesk hat nun dieses militärische Wahrzeichen seinen neuen Platz bei einem alten, französischen Straßenhändler auf einem Musikinstrument gefunden. Eine sicherlich mehr als indirekte Kritik am Deutschen Reich wie auch am Militarismus im Allgemeinen.
Bei der Männergruppen im mittleren Bildbereich rechts zeigt sich der Blick des politisch engagierten Künstlers. In alten, abgetragenen Kleidern sitzen hier ältere Männer, plaudern, rauchen und trinken. Durch die Schiebermützen werden diese als Arbeiter bzw. Proletarier erkennbar.
Das gesamte Werk ist ein erstaunlicher, ungemein lebendiger Momenteinfang. In vielen kleinen Details hält Oehl das damalige rege Treiben fest, doch geht er gerade durch die Einbeziehung der Pickelhaube noch über eine bloße Wiedergabe hinaus und lässt damit seine eigene politische Einstellung mit in das Werk einfließen. Bedeutsam ist zudem, dass diese Ansicht nur wenige Zeit vor Kriegsausbruch entstand und – dies ist nochmals zu betonen – von einem Künstler stammt, der wenige Jahre zuvor (1936) vor Verfolgung und Repressionen aus Deutschland emigrierte.
Zu Erwin Oehl (10.06.1907 Thalmässing – 22.11.1988 München):
Maler; Sohn (das dritte Kind) des Apothekers Wilhelm Oehl und seiner Ehefrau Anna, geb. Röss; Besuch der Volksschule in Thalmässing und des Internats des Studienseminars in Amberg; 1926-27 Besuch der Kunstakademie München (bei Hermann Groeber): 1927-29 Besuch der Kunstakademie Wien (bei Wilhelm Dachauer); 1929 Besuch der Kunstakademie Berlin; 1930 kurzer Aufenthalt in Wien und hierauf Umzug nach München-Schwabing (Pündterplatz 1); zu dieser Zeit trat Oehl der KPD bei und engagierte sich auch öffentlich in diesen Kreisen (u.a. im Antikriegskomitee); 1932 lernte er in München seine spätere Frau Louise Brod (1907-1999) kennen; im März 1933 kam er (zusammen mit Louise Brod) in Schutzhaft und wurde am 13. März 1933 in die Festung Landsberg gebracht; am 7. April 1933 wurde er wegen der Führsprache Gregor Strassers, den er seit seiner Kindheit kannte, wie auch wegen einer schweren Erkrankung seines Vaters aus der Haft entlassen (Louise Brod blieb noch bis Dezember 1933 inhaftiert); Oehl erhielt ein Aufenthaltsverbot für München und zog nach Thalmässing, während Louise in München blieb; 1936 erneute Inhaftierung; nach der Entlassung Im April 1936 emigrierte das Paar nach Frankreich und war dort in Kontakt mit mehreren anderen Künstlern und Kulturvertretern (u.a. Eugen Sprio, Gert Wollheim, Paul Westheim, Hanns Kralik); Erwin Oehl kann kaum Geld verdienen, so dass Louise für den Lebensunterhalt u.a. in einer Wäscherei zuständig ist; im Juli 1938 Heirat mit Louise Brod in Montreux; nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Frankreich wurde das Paar verhaftet und in das Lager Saint Jean bei Orléans-Loiret gebracht; Erwin Oehl konnte fliehen, wurde aber erneut festgenommen und an das Deutsche Reich ausgeliefert (ebenso auch seine Frau Louise); dort war er anfangs im Münchner Hauptquartier der Gestapo am Wittelsbacher Palais inhaftiert, kam dann bis 1942 in das Cornelius-Gefängnis; nach der Entlassung wurde ihm ein Berufsverbot erteilt und er zog nach Thalmässing; im April 1943 wurde er zum Militärdienst eingezogen; Louise Oehl blieb bis zum Kriegsende in Haft (erst in München-Stadelheim dann im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück); nach dem Krieg kam Erwin Oehl kurzzeitig in amerikanische Gefangenschaft aus der er jedoch schnell entlassen wurde; das Paar ließ sich noch 1945 in Thalmässing nieder und dort bauten Beide einen antifaschistischen Ortsverband auf und versuchte in der Folge auch eine einheitliche Arbeiterpartei zu gründen, was jedoch misslang; Oehl schloss sich der KPD an und war u.a. als Kulturreferent der KPD Franken ativ; zusammen mit anderen Künstlern gründet er die „Genossenschaft bildender Künstler“; aufgrund seiner antifaschistischen Grundhaltung war Oehl zudem Beisitzer bei der Spruchkammer Hiltpoltstein und auch künstlerischer Beobachter der Nürnberger Prozesse; im Herbst 1947 wurde Oehl zum Landesvorsitzenden der „Gewerkschaft der geistig und kulturell Schaffenden“ gewählt; Ende 1949 Ernennung zum Landesvorsitzenden der „Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft“; 1950 Reise nach Moskau und dort Treffen mit u.a. Ilja Ehrenburg, Gerassimow Semjonow; in der Adenauer-Zeit gerät das Paar erneut unter Druck und bspw. 1953 gab es drei Haussuchungen; 1956 verzog das Paar nach Nürnberg und 1959 erfolgte der Umzug nach München; Oehl malte weiterhin, doch reichen seine Verkäufe nicht aus, um den Lebensunterhalt zu sichern, so dass dies erneut bei Louise liegt
Mitgliedschaften
1930 KPD-Beitritt
1932 Gründungsmitglied der Münchner Ortsgruppe der „Assoziation revolutionärer bildender Künstler“ (ASSO)
1937 im französischen Exil Mitbegründer des „Freien Künstlerbundes“ (später: „Union des Artistes Allemands Libres“)
ab 1947 erster Vorsitzender der Künstler-Gewerkschaft 13 (München)
Künstlergruppe „Der Kreis“
Künstlergruppe „Die Hütte“
Ausstellungen (Auswahl)
1938 „Fünf Jahre Hitler“ (zus. mit Heinz Lohmar, Hanns Kralik, Alfred Herrmann, Heinz Kiwitz) Paris, Gewerkschaftshaus
November 1938, erste große Kollektivausstellung des Freien Künstlerbundes, Pariser Maison de la Culture
1945 Nürnberg, Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund („Winterschau Nürnberger Künstler“)
1946-47 Nürnberg, Gewerkschaft der geistig und kulturell Schaffenden („Ausstellung. Malerei, Plastik, Graphik“)
1947 Nürnberg, Fränkische Galerie am Marientor
1949 Dresden, „2. Deutsche Kunstausstellung“
1949 Nürnberg, Städtische Galerie
1950, 1958 Nürnberg, Fränkische Galerie (Einzelausstellungen)
1953 München, Pavillon des Alten Botanischen Gartens (Einzelausstellung)
1956 Berlin, Deutsche Akademie der Künste („Jahresausstellung“)
1990 München, Galerie des DGB (Einzelausstellung)
Dez. 1996 – Jan 1997 München, Pavillon des Alten Botanischen Gartens („Die Ungemütlichen“)
2002 Dessau, Anhaltinischer Kunstverein („Verfemt, verfolgt – nicht vergessen“)
2015 München, NS-Dokumentationszentrum („Das Unsagbare zeigen“)
Werke von Erwin Oehl befinden sich folgender Einrichtungen: Museums Kunst der Verlorenen Generation, Salzburg; Gewerkschaftshaus, München; Städtische Kunstsammlungen, Nürnberg; Landkreis Roth; Museum für Vor- und Frühgeschichte, Thalmässing
Schriftliche Teilnachlässe von Erwin und Louise Oehl befinden sich im Stadtarchiv München und im Institut für Zeitgeschichte (München).
Literatur
Böhme, Heinz R. (Hrsg.) (2020): Wir haben uns lange nicht gesehen. Kunst der verlorenen Generation. Sammlung Böhme, München: Hirmer, S. 180
Gerstenberg, Günther (2009): Das Recht der Nichtverzweifelten. Zur Erinnerung an Louise und Erwin Oehl. [Online auf: protest-muenchen.sub-bavaria.de/artikel/1757];
Grieb, Manfred (Hrsg.) (2007): Nürnberger Künstlerlexikon [Bd. 1]; München: Saur; S. 157
Gruber, Gerd: Erwi Oehl, in: Allgemeines Künstlerlexikon, Onlineversion
Papenbrock, Martin / Saure, Gabriele (Hrsg.) (2000): Kunst des frühen 20. Jahrhunderts in deutschen Ausstellungen [Teil 2. Antifaschistische Künstler/Innen in Ausstellungen der SBZ und der DDR], Weimar: VDG, S. 346
Ausstellungsleitung Pavillon (Hrsg.) (1996): Die Ungemütliche [Katalog zur Ausstellung], Wolnzach: Kastner, unpag. [S. 56]
Staatliche Galerie Moritzburg (Hrsg.) (1990): Die Sammlung Gerd Gruber, S. 96