E R N S T    G E I T L I N G E R    (13.02.1895 Frankfurt a.M. – 28.03.1972 Seeshaupt)

 

Weitere Werke von Ernst Geitlinger
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„Paar am Tisch“ (1965)

Mischtechnik (Tempera, Tusche, Bleistift) mit collagiertem Ausschnitt (runde Blume in der Bildmitte), auf Maschinenbütten („Hahnemühle“), verso am oberen Rand durch kleine Klebestreifen frei in Passepartout gesetzt

verso unten links in Blei datiert „[19]65“

verso unten mittig etwas schwach in Blei signiert „Ernst Geitlinger“, sowie darunter in Blei bezeichnet „bestätigt M.[arianne] Geitlinger“, sowie verso unten rechts Namensstempel

2.000€

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Titel
„Paar am Tisch“ [so verso unten links in Blei betitelt, WVZ (Roswitha Nees 1991): P 777, diese Nummer auch verso in Blei angegeben];
Eine Abbildung der relevanten Seite aus dem WVZ ist unten angefügt.

Größe
70,5 x 55,3 cm (Blatt) bzw. 89,6 x 69,9 cm (Passepartout)

Zustand
Blatt verso am oberen Rand durch kleine Klebestreifen in Passepartout gesetzt; in den Randbereichen durchgehend etwas bestoßen, sowie sehr leicht nachgedunkelt; partiell leichte Druckstellen im Blatt; am unteren Rand links schwacher Fleck, sowie am rechten Rand unten schwacher Fleck
verso am oberen Rand vom Künstler stammender Pfeil in Blei zur Ausrichtung des Blattes; verso im unteren Bereich mit Bezeichnungen in Blei (wohl) aus dem Nachlass („Seeshaupt“, „P 770“, „16.2“, „14.5/2“), sowie Künstlername in Blei von fremder Hand

Abbildung
1) Ernst Geitlinger Gesellschaft, München (Hrsg.) (1991): Ernst Geitlinger. Werkverzeichnis 1924-1972; Saarbrücken: St. Johann; S. 338 (kleine s/w-Abb.)
2) Nees, Roswitha (2006): Ernst Geitlinger 1895-1972. Leben und Werk; Saarbrücken: St. Johann; Abb. 117.

Literatur / Erwähnung
Nees, Roswitha (2006): Ernst Geitlinger 1895-1972. Leben und Werk; Saarbrücken: St. Johann; S. 151-152.
Die relevanten Textstellen sind weiter unten als Zitat wiedergegeben.

 

 

Werkbeschreibung
„An die geometrischen Abstraktionen des Jahres 1964 schließt sich ein Jahr später eine Reihe konstruktivistischer Zeichnungen mit kubisch abstrahierten Figuren in perspektivisch angedeuteten Innenräumen an. Sie sind im Jahr nach Geitlingers Emeritierung zwischen 1965 und 1966 entstanden. Sie wirken wie der Versuch einer Rekapitulation. Sich der eigenen Anfänge erinnernd, beschäftigte sich der Künstler nämlich beinahe schulmäßig mit den Möglichkeiten der figurativen Abstraktion. Es handelt sich in der Regel um hochformatige Tusche- bzw. Bleistiftzeichnungen mit Tempera. Von geringfügigen Abweichungen abgesehen betragen die Maße ca. 70 x 55,5 cm.“ [1]

Das hier vorliegende Werk ist dem Motiv, der Ausführung, der Datierung, wie auch dem gewählten Malgrund nach explizit in die oben von Roswitha Nees beschriebene Schaffensphase zwischen 1965 und 1966 einzuordnen.

Dieses „Paar am Tisch“ ist eines von drei Werken, welche Roswitha Nees in ihrer Dissertation als exemplarisch für diese Werkgruppe vorstellt [2]. Konkret schreibt sie zu dieser Arbeit:

„Im Blatt Paar am Tisch 1965 ist die Komposition symmetrisch aufgebaut und das Motiv auf kubisch stilisierte Formen reduziert. Zwischen den Figuren befindet sich der Tisch, auf dem eine flächig wiedergegebene schwarze Vase mit einer Blume steht. Das Bildzentrum wird betont durch eine kreisförmige und in ihrer rechten Hälfte violett ausgemalte Blüte. Einige Seitenflächen der Kuben sind durch Schraffuren und Farben hervorgehoben, so dass im Zusammenhang mit den weißen, unbezeichneten Flächen zugleich eine räumliche Wirkung entsteht. Der Innenraum wird durch zwei schwarze dünne Fluchtlinien markiert.“ [3]

Obgleich in obigem Zitat die zentrale Stellung der Blüte hervorgehoben wird, so bleibt doch dort, ebenso wie auch im Werkverzeichnis, ein essenzieller kompositorischer Aspekt dieses Bildteiles unbeachtet. – Die Blüte wurde von Geitlinger auf einem Stück Papier gemalt, kreisrund ausgeschnitten und dann auf das Blatt geklebt. Diese collagierende Vorgehensweise ist sicherlich nicht zufällig gewählt, zumal es sich bei diesem Part um das erwähnte Zentrum des Werkes handelt [4]. Geitlinger erzeugt dadurch, wenn auch nur dezent, eine gewisse räumliche Abtrennung vom Rest des Werkes.
In Geitlingers Schaffen ist diese besondere Stellung des (Blüten-)Kreises in Beziehung zu bringen mit den Kreis-Darstellungen des Jahres 1962-64, wie auch mit den Sonnen-Darstellungen von 1966. Begreift man den Kreis als ein Bildzeichen, so wird damit Lida v. Mengdens Ausführung sehr verständlich, wonach „Geitlingers Weg von der gegenständlichen Figuration zum konstruiert wirkenden Bildzeichen der späten sechziger Jahre geführt [hatte].“ [5]

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[1] Roswitha Nees (2006): Ernst Geitlinger 1895-1972. Leben und Werk; Saarbrücken: St. Johann; S. 151.
[2] Ebd.: 151-152.
[3] Ebd.: 151.
[4] Geilinger verwandte die Technik der Collage durchaus häufig. – Bereits 1943 entstand so das beeindruckende „Zeitungsgespenst“ (P 130) und gerade zu Beginn der 1960er Jahren war es eine oftmals benutzte Technik (siehe bspw. P 612 bis P 623).
[5] Lida v. Mengden (1991): Anmerkungen zu Ernst Geitlingers Spätwerk, in: Ernst Geitlinger Gesellschaft, München (Hrsg.) (1991): Ernst Geitlinger. Werkverzeichnis 1924-1972; Verlag St. Johann; Saarbrücken; S. 35-38 [hier: 36]).

 

 

Zu Ernst Geitlinger (13.02.1895 Frankfurt a.M. – 28.03.1972 Seeshaupt)
Maler, Zeichner, Bühnenbildner; nach der Volksschule Besuch eines Internats in Waldkirch (bei Freiburg); 1912 Oberrealabschluss; 1913 Umzug der Familie nach New York; Beschluss Theatermaler zu werden, wozu sich Geitlinger an der National Academy of Design einschreibt; 1914 Bekanntschaft mit Ernst „Putzi“ Hanfstaengl, der in New York eine Malschule betreibt; bis 1918 arbeitet Geitlinger dort als Zeichenlehrer; Bekanntschaft mit Winold Reiss, bei dem er seine Kunststudien fortsetzt und in dessen Atelier er mitarbeitet; 1920 Heirat in New York mit Martha Kartenkamp; 1922 Rückkehr nach Deutschland (München); 1922-31 Studium an der Kunstakademie München (bei Karl Caspar); bis 1929 verbringt Geitlinger die Sommermonate in New York und arbeitet dort als Bühnenbildner; New York; ab 1929 in München ansässig; ab 1930 Atelier in München; 1931 erste Einzelausstellung in der Galerie Weber (Berlin); 1932 Mitglied der Juryfreien; Einrichtung eines Ateliers übder dem „Schwabingerbräu“ in der Feilitzschstraße 28; in den 1930er Jahren Zusammenarbeit mit dem Maler Georg Hans Müller; 1933 politisch bedingte Auswanderungspläne; 1935 zweite Heirat mit Marianne Isler, die Familie wohnt in der Kurfürstenstraße 39; 1935 werden bei einer Ausstellung auch Werke Geitlingers im Vorfeld der Eröffnung wieder abgehängt; 1936 Mitglied im Deutschen Künstlerbund; 1937 wird eine Arbeit Geitlingers („Schneelandschaft“, Aquarell) im Rahmen der Aktion „Entartete Kunst“ aus den Städtischen Museen Rostock beschlagnahmt; bis 1938 verschiedene Emigrationsversuche in die USA, UdSSR, nach Kolumbien; Geitlinger erhält keine Aufträge mehr, bereits ausgeführte Auftragsarbeiten für Verlage werden abgelehnt; Geitlinger zieht sich in die „innere Emigration“ zurück; er ist tätig als Anstreicher und Posthilfsarbeiter; weiterhin malt er heimlich weiter; um dem Kriegsdienst zu entgehen legt er am 12.03.1942 die Dolmetscherprüfung ab und wird in ein Gefangenenlager für Briten nach Hohenfels (Oberpfalz) verlegt; weiterhin ist er malerisch tätig; 1942 mietet Marianne Geitlinger ein Zimmer in Seeshaupt (Hauptstr. 4) und führt einen Teil der Bilder ihres Mannes dorthin über; am 10.03.1943 wird das Münchener Atelier bei einem Bombenangriff zerstört; 1945 kurzzeitig in amerikanischer Kriegsgefangenschaft; Anfang Juli 1945 Heimkehr und fortan ansässig in Seeshaupt; durch den Kunsthistoriker Dr. Hans Helmut Klihm und dessen Ehefrau Erika konnte Geitlinger neue Kontakte zu Sammlern und Museen knüpfen; Dezember 1945 erste Ausstellungsbeteiligung nach dem Krieg im Schaezler-Palais (Augsburg); im Weiteren zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen; 1946 Mitbegründer der Künstlervereinigung „Neue Gruppe“; 1948 Teilnahme an der Biennale in Venedig; 1949 Auftrag für das Bühnenbild und Kostümentwürfe für Igor Strawinskys „Orpheus“ an der Bayerischen Staatsoper; ab 1950 regelmäßig beteiligt an den Großen Münchner Kunstausstellungen; 1951 Beitritt zu den Darmstädter und Frankfurter Sezessionen; 1951-65 Professor an der Kunstakademie München; 1957 Italienreise; 1961 zwei Wandgestaltungen an der kaufmännischen Berufsschule Fulda; 1965 Gründung der privaten Malschule „Atelier Geitlinger“ in München; am 23.07.1983 gründen ehemalige Schüler Geitlingers die „Ernst Geitlinger Gesellschaft“; 1991 kam durch Schenkung ein Großteil des künstlerischen Nachlasses Geitlingers in den Besitz der Stadt Neu-Ulm; Werke Geitlingers befinden sich u.a. im Städel-Museum (Frankfurt a.M.), Sprengel-Museum (Hannover), in der Pfalzgalerie Kaiserslautern, dem Museum Ludwig (Köln), den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen (München), dem Lenbachhaus (München), dem Edwin-Scharff-Museum (Neu-Ulm), Saarland-Museum (Saarbrücken)

Literatur
NEES, Roswitha: Biographie, in: Ernst Geitlinger Gesellschaft, München (Hrsg.) (1991): Ernst Geitlinger. Werkverzeichnis 1924-1972; Verlag St. Johann; Saarbrücken; S. 13-24
NEES, Roswitha: Geitlinger, Ernst, in: „Allgemeines Künstlerlexikon“ (AKL), Onlineversion, Künstler-ID: 00055491
PAPENBROCK, Martin (1996): „Entartete Kunst“, Exilkunst, Widerstandskunst in westdeutschen Ausstellungen nach 1945. Eine kommentierte Bibliographie; Weimar: VDG; S. 454
SEIDENFADEN, Ingrid (1974): Einführung, in: Ernst Geitlinger 1895-1972 [Städtische Galerie im Lenbachhaus München, 10. Juli bis 1. September 1974]; Christoph Dürr Verlag; München; unpag.
Internetseite der Ernst Geitlinger Gesellschaft (ernst-geitlinger.de)

 

 

 

Aus: Ernst Geitlinger
Gesellschaft, München (Hrsg.) (1991): Ernst Geitlinger. Werkverzeichnis
1924-1972; Verlag St. Johann; Saarbrücken; S. 338-339.