A L B E R T    R E U S S    (02.10.1889 Wien – 04.11.1975 Cornwall Truro)

 

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Bildnis einer Dame (1916)

Bleistift auf Zeichenpapier (aus einem Skizzenbuch), verso am oberen Rand in Passepartout gesetzt
verso Künstlerstempel „AR / Albert Reuss“

am unteren Rand datiert „September 1916“
Größe: 19,8 x 12,5 cm (Blatt) bzw. 30 x 24 cm (Passepartout) bzw. 17,8 x 12 cm (Passepartoutausschnitt)

ohne Titel [Bildnis einer Dame, möglicherweise handelt es sich hierbei um Sidonia Reisz, Mutter des Künstlers]

€ 340,-

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Zustand
Blatt verso am oberen Rand in Passepartout gesetzt; oberer Rand mit deutlichen Abrissspuren; insgesamt etwas fleckig; recto und verso in den Randbereichen etwas nachgedunkelt / gebräunt; verso leicht fleckig

Provenienz
Sammlung Peter Chrastek (*1942, Hagenbund-Spezialist und ehemaliger Kurator im Anton Hanak-Museum, Langenzersdorf)

 

 

Freundliche Hinweise zur Einordnung des Werkes kamen von Susan Soyinka, Verfasserin der umfangreichen Monografie „Albert Reuss in Mousehole“ (Bristol 2017), der ein digitales Foto der Zeichnung vorliegt. Diese teilte mit Bezug zu der Dargestellten per eMail mit: „[…] I think there is a strong possibility that it is his mother, Sidonia Reisz.“

 

 

Albert Reuss (Reisz) entstammte einer jüdischen Familie und sollte anfangs den väterlichen Beruf als Schächter übernehmen. Im Alter von 16 Jahren half er auch seinem Vater bei der Arbeit, was ihm aber nervlich stark zusetzte und auch zu anhaltenden Magenbeschwerden führte [1]. Der Schächter-Beruf konnte für Albert Reuss demnach keine geeignete Wahl sein, was auch sein Vater erkannte. Dieser war den künstlerischen Neigungen glücklicherweise nicht abgeneigt und beschloss ihm eine Schauspielerausbildung zu gestatten. Bis 1913 trat Reuss dann in verschiedenen österreichischen und tschechischen Provinztheatern auf. Den kommenden Kriegsdienst verweigerte er und wurde auch später aufgrund seiner fragilen Gesundheit nicht an der Front eingesetzt. 1915 lernte er Rosa Feinstein kennen („a lady whose greatness of heart, devotion, and noble-mindedness I am unable to describe“ [2]), die er am 31. Dezember 1916 heiratete. Kurz darauf plagten ihn erneut Gesundheitsprobleme und er musste 18 Monate in ein Sanatorium (Alland). Erst ein paar Jahre später (1922) beginnt sich Albert Reuss als (Porträt-)Maler in Wien zu etablieren.

Das vorliegende Werk datiert auf den September 1916 und lässt sich demnach konkret in diese frühe Lebensphase einordnen.

Albert Reuss zeigt hier eine sitzende ältere Dame im Profil nach links. Sie stützt sich auf einen Tisch und die Kleidung mit Mantel und elegantem Hut verweisen deutlich darauf, dass sie im Außenbereich eines Cafés oder eines Restaurants sitzt.

Neben der interessanten frühen Datierung und der zeichnerischen Qualität an sich, ist unbedingt noch der freundliche Hinweis von Susan Soyinka anzufügen, nach dem es sich bei der hier Dargestellten womöglich um Sidonia Reisz, die Mutter des Künstlers, handelt.

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[1] „Given the relationship with his father, his delicate disposition and his artistic sensibilities, butchery was hardly an appropriate choice of profession“ (Soyinka, Susan (2007): Albert Reuss in Mousehole. The Artist as Refugee; Bristol: Sansom and Company; S. 20).
[2] Ebd.: 22.

 

 

Zu Albert Reuss (02.10.1889 Wien – 04.11.1975 Cornwall Truro):
Maler, Zeichner, Grafiker, Bildhauer; Sohn des jüdischen Schächters und Fleischhauermeisters Ignaz Reisz (1855 Grivana – 1911 Wien) und dessen Frau Sidonia, geb. Freund (1861 Nitra – 1928 Wien); Ende der 1880er Jahre verzog die Familie nach Wien; schon in der Kindheit begann Albert Reuss zu malen; mit zwölf Jahren erhielt er Malunterricht von Baron Andreas Ritter von Reisinger, einem Freund der Familie; Besuch der Volksschule; mit 14 Jahren bewarb er sich erfolglos an der Kunstakademie Wien; während dieser Zeit musste er seinem Vater helfen, was er aber eher als „beängstigend“ empfand; der Vater war den künstlerischen Neigung des Sohnes nicht ganz abgeneigt und erlaubte ihm eine Schauspielerausbildung; 1909-13 übernahm er verschiedene Rollen an kleineren Theatern in Österreich und Tschechien; im Ersten Weltkrieg kam er aufgrund seiner fragilen Gesundheit nicht zum Fronteinsatz und blieb in Wien; 1915 traf er Rosa Feinstein (1891 – 1970), die er im Dezember 1916 heiratete; kurz darauf plagten ihn erneut Gesundheitsprobleme und er musste 18 Monate in ein Sanatorium (Alland); im Oktober 1922 konvertierte das Paar zum Christentum; 1922 begann Albert Reuss offiziell als Maler zu arbeiten und ließ sich dazu am Möllwaldplatz 3 nieder; Beteiligung an einer Ausstellung der Wiener Secession; er begann sich zu dieser Zeit vor allem als Porträtmaler zu etablieren; 1925-35 Beteiligungen an Ausstellungen des „Hagenbundes“; 1926-38 Dozent an der „Fachlehranstalt für das Kleidungsgewerbe“; 1930 konnte das Paar durch Unterstützung eines Förderers ein Jahr in Cannes verbringen, wo viele Bilder entstanden; ab etwa 1935 arbeitete er auch als Bildhauer; 1935 hielt er sich in Bedfordshire (England) auf; im August 1938 emigrierte das Paar nach England und traf dort zunächst in Dover ein, während der gesamte Hausrat in Wien konfisziert wurde; nach einem kurzen Aufenthalt in London kamen sie nach Cornwall; im Oktober 1938 hatte Reuss dort seine erste Ausstellung, die ein Erfolg wurde und auf welche weitere Ausstellungen folgten; von Juni bis August 1940 wurde Reuss als „feindlicher Ausländer“ in Shropshire interniert; in der Folge lebte das Paar in Cheltenham; Reuss malte weiterhin und arbeitete zudem an der „Dean Close School“ (Cheltenham) als Kunstlehrer; 1947 erhielt das Paar die englische Staatsbürgerschaft; im März bezog das Paar ein großes Haus mit Atelier in Mousehole; die weiteren Jahre waren anfangs bestimmt von wirtschaftlichen Sorgen; Reuss begann sich nur langsam als Künstler zu etablieren

Ausstellungen (Auswahl):
1926 Galerie Würthle, Wien [erste Einzelausstellung]; 1938 St Mawes, Cornwall; 1938 Lanham´s Gallery, St Ives, Cornwall; 1938 Gas Company Showroom, Truro, Cornwall; 1940 Cheltenham Art Gallery and Museum, Gloucestershire; 1944 Cheltenham Art Gallery and Museum, Gloucestershire; 1945 Royal Birmingham Society of Artists/New Street Gallery, Birmingham; 1945 Laing Art Gallery and Museum, Newcastle upon Tyne; 1945 Salford Museum and Art Gallery; 1947 Turner House Gallery, Penarth, Wales; 1948 Royal Cornwall Polytechnic, Falmouth, Cornwall; 1949, 1951, 1956 Studio ARRA, Mousehole, Cornwall; 1950 Woseley Room/Hove Public Library, Brighton, Sussex; 1950 Public Library, Museum and Art Gallery, Darlington, North East England; 1951 Bankfield Museum, Halifax, West Yorkshire; 1951 Shipley Art Gallery, Gateshead, North East England; 1952 Public Library and Museum, South Shields, North East England; 1953 Victoria Park Museum, Keighley, West Yorkshire; 1953 Batley Art Gallery, Batley, West Yorkshire; 1953-1973 zweijährliche Ausstellungen in der O´Hana Gallery, London; 1956 Heffer Gallery, Cambridge; 1974, 1979, 1980, 1983 The Newlyn Orion, Penzanze, Cornwall; 1975 Bilder der Einsamkeit, Bawag Foundation, Wien; 1977 Preston Art Gallery, Lancashire; 1982 City Art Gallery, Plymouth, Devon; 1985 Galerie Kuckucksmühle, Hilter, Deutschland; 1989 Ginger Gallery, Bristol; 1992 Newlyn Orion Art Gallery, Penzanze, Cornwall; 2017 Newlyn Art Gallery, Penzanze, Cornwall

Werke von Albert Reuss befinden sich u.a. in folgenden Sammlungen:
Österreichische Galerie Belvedere, Wien; Albertina, Wien; Sammlung Leopold, Wien; Exil-Sammlung Memoria / Thomas B. Schumann, Hürth; Victoria & Albert Museum, London; British Museum, Print Cabinet, London; Newlyn Art Gallery, Newlyn; Shipley Art Gallery, Gateshead; Laing Art Gallery Newcastle-Upon-Tyne; Darlington Borough Art Collection and Cheltenham Art Gallery & Museum, Cheltenham; Fitzwilliam-Museum, Cambridge; Batley Museum, Yorkshire; Hove Museum, Hove; The Bankfield Museum, Halifax (West Yorkshire); Tel Aviv Museum of Art, Tel Aviv; Cleveland Museum of Art, Cleveland, Ohio

Literatur (Auswahl)
Soyinka, Susan (2007): Albert Reuss in Mousehole. The Artist as Refugee; Bristol: Sansom and Company
Wiltschnigg, Elfriede: Albert Reuss, in: „Allgemeines Künstlerlexikon“ (AKL), Onlineversion

 

 


Abb. aus: Soyinka, Susan (2007): Albert Reuss in Mousehole. The Artist as Refugee;
Bristol: Sansom and Company; S. 23.
Grün markiert ist Sidonia Reisz, die Mutter des Künstlers.