F R I T Z    R Ö T T C H E R    (27.06.1879 Meschede – 08.08.1946 Ingwiller)

 

Weitere Autographen

 

 

Widmungsblatt mit längerem Text („Die tiefste Begründung der politischen Idee…“)
Warschau 24. Juni 1928

dunkle Tinte auf festem Velinpapier
am Ende lokalisiert und datiert „Warschau 24. Juni 1928“

am Ende signiert „Fritz Röttcher / Herausgeber der ‚Menschheit‘“
Größe: 29,6 x 21,8 cm (Blattgröße)

€ 420,-

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Titel
Widmungsblatt mit längerem Text („Die tiefste Begründung der politischen Idee…“)

Zustand
am oberen und unteren Rand horizontale Linien in Blei; recto & verso partiell sehr leicht fleckig; verso am oberen Rand abgeschnittene Reste von früherem Text[?]

 
 

Text des vorliegenden Blattes:

„Die tiefste Begründung der politischen Idee von menschlicher Gleichartigkeit und Gleichberechtigung stammt aus dem Christentum und wird durch den Kreuzträger versinnbildlicht.

Das Kreuz, das menschlicher Collektivwahn der Vermenschlichung und Vergeistigung des Individuums auferlegt, ist der Krieg. Die staatliche Ungerechtigkeit, die auf Golgatha zum Ausdruck kam, ist noch immer der stärkste Hebel für alle menschlichen Gleichberechtigungsbestrebungen, also auch für die Friedensbestrebungen.

Warschau, 24. Juni 1928

                                       Fritz Röttcher
                                       Herausgeber der ‚Menschheit‘“

 
 

Fritz Röttcher war früh engagiert in sozialistischen und pazifistischen Kreisen und Gruppierungen. Um 1902 war er Besitzer einer gut gehenden Drogerie in Wiesbaden. 1910 wurde er Mitglied (und später Schriftführer) der „Wiesbadener Gesellschaft der Friedensfreunde“ und in demselben Jahr organisierte er den III. deutschen Friedenskongress in Wiesbaden.

Von 1925 bis 1932 war er Redakteur und später auch Herausgeber der Zeitschrift „Die Menschheit“ (Organ des Bundes für Menschheitsinteressen) – zuerst in Stuttgart, später wieder in Wiesbaden. In diesem Zusammenhang kam es dann Anfang November 1927 auch zur Verhaftung Röttchers in Wiesbaden, da er in einem Artikel in „Die Menschheit“ (v. Juli 1927) über Verbindungen zwischen Reichswehr und Stahlhelmbund berichtet hatte. Röttcher blieb daraufhin für gut drei Monate in Untersuchungshaft.

Vorliegender Autograph datiert nun interessanterweise auf den 24. Juni 1928 (Warschau) und entstand demnach nur kurze Zeit nach dieser Hafterfahrung. Womöglich befand er sich in Warschau auf einer Vortragsreise.

 
 

Zu Fritz (Frédéric) Röttcher (27.06.1879 Meschede – 08.08.1946 Ingwiller):
Pazifist, Verleger, Publizist; er war das älteste von acht Kindern des evangelischen Pfarrers Feodor Eduard Wilhelm Emil Röttcher (11.09.1835 Halle (Westf.) – ?); ab 1899 SPD-Mitglied; um 1902 war er Besitzer einer gut gehenden Drogerie in Wiesbaden; in seiner Freizeit befasste er sich mit sozialen und ethischen Fragen und engagierte sich u.a. in der „Deutschen Gesellschaft für ethische Kultur“, sowie bei der Genossenschaftsbewegung; 1910 wurde er Mitglied der „Wiesbadener Gesellschaft der Friedensfreunde“ und wurde deren Schriftführer; 1910 organisierte er den III. deutschen Friedenskongress in Wiesbaden; bei den folgenden Friedenskongressen 1911 (Frankfurt a.M.) und 1912 (Berlin) war er Teilnehmer; während dieser Zeit schrieb er Artikel für die Zeitschrift „Völker-Friede“; ab 01.01.1914 Mitglied der „Deutschen Friedensgesellschaft“, später deren Sekretär; mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges begründete er im Stuttgarter Sekretariat der „Deutschen Friedensgesellschaft“ eine Auskunfts- und Briefvermittlungsstelle; Röttcher wurde noch zum Militärdienst eingezogen, nahm aber noch während dieser Zeit an den Hauptversammlungen der „Deutschen Friedensgesellschaft“ am 1.-2.12.1917 in Erfurt teil, was ihm seitens seiner militärischen Vorgesetzten arg verübelt wurde; Röttcher war zu dieser Zeit in Stuttgart ansässig; 1918-19 aktive Teilnahme an der Rätebewegung in Württemberg; 1925-32 Redakteur und später auch Herausgeber der Zeitschrift „Die Menschheit“ (Organ des Bundes für Menschheitsinteressen), zunächst weiterhin in Stuttgart, dann in Wiesbaden; Anfang November 1927 wurde er in Wiesbaden verhaftet und des Hochverrats angeklagt, da er in einem Artikel (v. Juli 1927) über Verbindungen zwischen Reichswehr und Stahlhelmbund berichtet hatte; Röttcher blieb gut drei Monate in Untersuchungshaft; diese Verhaftung schlug in Deutschland heftige Wellen und wurde in zahlreichen Zeitschriften und Zeitungen diskutiert, am 20.01.1928 erschien dazu in der „Vossischen Zeitung“ der Aufruf „Für Roettchers Haftentlassung“, der am Ende von 30 Personen unterzeichnet war (u.a. Philipp Scheidemann, Harry Graf Kessler, Albert Einstein); intensiver Briefwechsel mit Robert Bosch (u.a. zu pazifistischen Fragen); ab 1933 war er im Exil im Saarland, ab 1935 zog er weiter nach Strasbourg und trat der Partei der Sozialisten (SFIO) bei; im Mai 1939 erhielt er die französische Staatsbürgerschaft; während der deutschen Besatzung blieb er mit seiner Familie versteckt in Haute-Savoie; 1945 Rückkehr nach Strasbourg, erkrankte aber bald darauf schwer und verstarb