A R I E    G O R A L    geb. als „Walter Sternheim“    (16.10.1906 Rheda – 23.04.1996 Hamburg)

 

Weitere Werke von Arie Goral

 

 

dörfliche Sommerlandschaft mit Bäumen und Häusern unter schwarzer Sonne (1959)

Ölfarben und Deckfarben auf festerem Malkarton, ungerahmt
verso oben rechts datiert „1959“
unten links signiert „Goral“, sowie verso oben rechts signiert „Arie Goral“

€ 560,-

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Titel
ohne Titel: dörfliche Sommerlandschaft mit Bäumen und Häusern unter schwarzer Sonne

Größe
Größe: 34,9 x 49,7 cm

Zustand
Ecken minimal bestoßen; am linken Rand kleiner (wohl im Malprozess entstandener) Aufbruch der pastosen Farbschicht (etwa 0,3×0,3cm); im Bereich unten links in der grünen pastosen Stelle leichte Craquelé-Bildung, sowie mittig links in der grünen pastosen Stelle leichte Craquelé-Bildung; im linken Bereich des Himmels leicht fleckig
verso an den Rändern umlaufend Reste früherer Befestigung (Klebereste); verso etwas fleckig; verso am linken Rand ist das Papier etwas aufgeraut

 

 

Im künstlerischen Schaffen von Arie Gorals nimmt die Landschaft einen besonderen Platz ein. Und noch konkreter gesprochen ist es die orientalische Landschaft welche mit ihrem ganz eigenen Licht ein durchgängiges Faszinosum für Goral darstellte. Sechzehn Jahre lang – von 1934 bis 1950 – lebte er in dieser Landschaft, die ihn so nachhaltig prägte und in späteren Jahren zu einem Sehnsuchtsort wurde, was sich dann mutatis mutandis ebenso in der Kunst Gorals widerspiegelt.

Nach seiner Rückkehr nach Hamburg im Oktober 1953 trafen zwei Faktoren als Einflüsse auf sein künstlerisches Schaffen. Zum einen fand er in Hamburg nicht das Erhoffte – die Stadt hatte sich grundlegend verändert, das ihm Bekannte und Vertraute gab es nicht mehr, kurzum: er war wie in der Fremde. „In dieser inneren Unsicherheit und Unschlüssigkeit entstanden nun die malerischen Welt-Traum-Bilder. In ihrer Traumhaftigkeit wirken sie beinahe wie eine Flucht aus der Wirklichkeit, die für Goral immer unerträglicher wurde. Seine beginnende innere Abkehr von Hamburg kündigt sich in der Zuwendung zu einer ganz der Ästhetik verhafteten Welt an.“ [1] Zum anderen verschärfte sich diese ambivalente Beziehung zu Hamburg ab der Mitte der 1950er Jahre zusehends. „Vor allem die Frage nach einem Leben als Jude in Deutschland und die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit und den Opfern des Nationalsozialismus wurden für Goral immer essentieller.“ [2] Beide Faktoren lassen sich in künstlerischen Arbeiten Gorals erkennen und ablesen. Die Lockerheit und die reizvolle Wärme, welche die orientalischen Landschaften zumeist durchziehen, sind zurückgetreten. Stattdessen werden die Bildsprache und auch das Kolorit deutlich kühler. Das Auftreten des „Opfer“-Motivs in dieser Werkphase ist ebenfalls deutlich vor diesem Hintergrund zu sehen.
Mit dem Beginn der 1960er Jahre tritt eine Änderung auf, die hier als wichtiger Ausblick noch anzuführen ist. In dieser Zeit, das heißt um 1961-64, bediente sich Goral „häufig einer Malweise, die die Gegenstände und Erscheinungsformen der realen Welt zwar beobachtet, sie aber weitgehend auf ihre Grundformen reduziert. In kantigen oder abgerundeten, breiten Pinselstrichen verband er flächige Formen zu einer Struktur, die die einzelnen Elemente im Bild gewebeartig verknüpft erscheinen lässt. […] Die Farbe selbst arriviert dabei zum bestimmenden Faktor für den Bildaufbau. […] Die eigentliche figurative Form der dargestellten Objekte geht dahinter aber nie ganz verloren.“ [3]

Das vorliegende Werk ist dem Entstehungsjahr noch vor diese Zeit der formalen Reduktion einzuordnen, doch verweist es in seinem Aufbau wie auch in der wieder heller werdenden Farbgebung deutlich auf diese Entwicklung hin.
Man möchte daher versucht sein dem Werk eine Art ‚Mittelstellung‘ zuzugestehen. Die deutlich erkennbaren Bäume und auch die auffallend schwarz ausgeführte Sonne [4] lassen eher an die ausgehenden 1950er Jahre denken, während das hellere Kolorit (Himmel, Vordergrund) und der stark abstrahierte Vordergrund ohne Zweifel Bezug nehmen auf die Malerei der frühen 1960er Jahre.

Für den Betrachter ist im ersten Moment ganz grundsätzlich nur eine Landschaft auszumachen, welche durch einen hellblauen Himmel, zwei Bäume, eine irritierend dunkle Sonne und einen diffusen Vordergrund charakterisiert ist. Dieser schwer zu deutende Vordergrund erklärt sich durch den Hinweis Silke Rommelfangers, wonach Goral „Gegenstände und Erscheinungsformen der realen Welt zwar beobachtet, sie aber weitgehend auf ihre Grundformen reduziert“. Vergleicht man diese Darstellung nun mit Arbeiten Gorals aus den 1960er Jahren [5], so werden die gelben bzw. gelbgrünen, kubusförmigen Gebilde als Häuser erkennbar. Die größeren gelben Farbflächen ließen sich in diesem Sinne dann vielleicht als Getreidefelder interpretieren, was das Ganze zu einer dörflichen Sommerlandschaft werden ließe.

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[1] Silke Rommelfanger (2007): Das künstlerische Werk Arie Gorals. […], in: Raphael Gross / Erik Riedel (Hrsg.): Kein Weg als Deutscher und Jude? Der Maler, Publizist und Dichter Arier Goral, Offenbach Main: Beer Konzept, S. 32-61 [hier: 38].
[2] Ebd.
[3] Ebd.: 47.
[4] Spannt man hier den Interpretationsbogen etwas weiter, so lassen sich Bezüge zur Literatur ziehen, in der seit dem 19. Jahrhundert und dann auch im 20. Jahrhundert die „schwarze Sonne“ ein Symbol für Melancholie und Weltenschmerz ist – man denke hierbei u.a. an Heinrich Heine, Paul Celan, Max Dauthendey. Für die damalige Situation Gorals dürfte eine solche Interpretation durchaus plausibel und stimmig sein.
[5] So bspw. die aquarellierte Tuschzeichnung „ohne Titel (Häuser)“, die auf Anfang der 1960er Jahre datiert wird (Abb. in: Jüdisches Museum Rendsburg (1998): Arie Goral; Neumünster: Wachholtz; S. 36 (Kat.Nr. 52)).

 

 

Zu Arie Goral, geb. als „Walter Sternheim“ (16.10.1906 Rheda – 23.04.1996 Hamburg):
Maler, Zeichner, Schriftsteller, Kunstpädagoge; 1916-25 Schulzeit in Lemgo und Hamburg (Abschluss mit der mittleren Reife); 1921-33 Mitglied im Jüdischen Wanderbund Blau-Weiß und im Jung-Jüdischen Wanderbund; ab 1925 Beginn einer kaufmännischen Lehre; 1927 verlässt er das Elternhaus und arbeitet als Zeichner für eine Berliner Modefirma; er wird Mitglied im Kibbuz Cheruth bei Hameln; 1928-32 landwirtschaftliche Arbeit als Vorbereitung für die Auswanderung nach Palästina; Mitarbeit im Brith Habonim; Autor der Zeitschrift „Der Junge Jude“; 1932 Rückkehr nach Hamburg; Mai 1933 Flucht nach Südfrankreich; in Toulouse ist es zeitweise Leiter des landwirtschaftlichen Ausbildungsbetriebes Chuljah für jüdische Flüchtlinge; Mitarbeit im „Comité Réfugié Allemand“; 1933-34 zunächst Aufenthalt in den Pyrenäen, später in Marseille; August 1934 Heirat mit der Malerin Anna Szmajewicz; Dezember 1934 Emigration nach Palästina; 1935 im Kibbuz Giwath Brenner; 1936-44 verschiedene Tätigkeiten, u.a. als Bauarbeiter in Jerusalem, Bademeister am Toten Meer, Assistent am Dizengoff-Museum in Tel Aviv; 1942-44 Veröffentlichungen von Lyrik in deutscher Sprache; Kontakte u.a. zu Schalom Ben Chorin, Wolfgang Hildesheimer, Arnold Zweig, Else Lasker-Schüler; 1944 Scheidung der Ehe; 1946-47 Arbeit auf Orangenplantagen in Rechovoth; Einrichtung eines Malstudios für Kinder; ab 1948 lassen sich erste Werke als Maler feststellen; 1948 Teilnahme am jüdisch-arabischen Krieg; ab 1950 Beteiligungen an Ausstellungen (u.a. in Florenz, München, Hamburg, Bremen); 1950-51 Italien-Aufenthalt, u.a. Studium an der Kunstakademie in Florenz; 1953 auf Einladung Erich Kästners beteiligt er sich an einer Ausstellung israelischer Kinder in München; Oktober 1953 Rückkehr nach Hamburg; er hält Vorträge und gibt Kunstunterricht für Kinder und Jugendliche; 1955 Kunsterzieher am sozialpädagogischen Institut der Universität Hamburg; Bekanntschaft mit Eva Peters, seiner späteren Frau; 1957 Gründung des „Jungen Studios“; 1962 Pläne für eine erneute Emigration, da er die „heuchlerische christlich-jüdische Brüderlichkeit“ ebenso wie die Rehabilitierung von Theodor Oberländer (1905-1998) kritisierte; 1963 wandte sich Goral offen gegen Peter R. Hofstätter und dessen, in „Die Zeit“ publizierten, Artikel „Bewältigte Vergangenheit?“; 1964 Übersiedlung nach Berlin; 1965 Gründung der Galerie Uhu in Hamburg; 1967 beteiligt er sich an der Initiative „Hamburg linksliterarisch“; 1968 Gründung der Hamburger „Intergalerie“; Reise in die CSSR; Oktober 1968 Heirat mit Eva Peters; 1973 organisierte er die Hamburger Ausstellungen „Aufstand im Warschauer Ghetto“ und „Internationale Engagierte Kunst“; 1976 Teilnahme am „Kongress gegen politische Unterdrückung und ökonomische Ausbeutung“, der vom Sozialistischen Büro Frankfurt veranstaltet wurde; 1978 entstehen die letzten Werke als bildender Künstler; 1979 protestiert er öffentlich gegen Syberbergs Hitler-Film; 1982 Verleihung der „Biermann-Ratjen-Medaille“; Einweihung des Heine-Denkmals auf dem Hamburger Marktplatz, für das sich Goral lange eingesetzt hatte

Werke von Arie Goral befinden sich u.a. in folgenden Sammlungen: Jüdisches Museum in Frankfurt am Main (künstlerischer Nachlass); Jüdisches Museum Rendsburg; Kunstsammlung des NDR; Sammlung Dr. Maike Bruhns (Hamburg); Museum Kunst der verlorenen Generation / Sammlung Prof. Dr. Heinz Böhme (Salzburg); Exil-Sammlung Memoria / Thomas B. Schumann (Hürth)

Literatur (Auswahl)
Bruhns, Maike (2001): Kunst in der Krise (Band 2); Dölling und Galitz; Hamburg; S.158-160
Bruhns, Maike (2007): Geflohen aus Deutschland. Hamburger Künstler im Exil 1933-1945; Edition Temmen; Bremen; S. 200-201
Gross, Raphael / Riedel, Erik (Hrsg.) (2007): Kein Weg als Jude und Deutscher? Arie Goral. Der Maler Publizist und Dichter; Offenbach am Main: Beer Konzept
Jüdisches Museum Rendsburg (1998): Arie Goral; Neumünster: Wachholtz
Heydorn, Volker Detlef (1974): Maler in Hamburg 1966-1974; Christians; Hamburg; S. 142
Familie Kay Rump (Hrsg.) (2013): Der neue Rump. Lexikon der bildenden Künstler Hamburgs (überarbeitet von Maike Bruhns); Wachholtz; Neumünster – Hamburg; S.152
Hansen, Antje: Arie Goral, in: „Allgemeines Künstlerlexikon“ (AKL), Onlineversion, Künstler-ID: 40290646