H E R M A N N    ( H E N R Y )    G O W A    (25.05.1902 Hamburg – 23.05.1990 München)

 

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Stillleben mit roter Lilie in hoher Glasvase (um 1942)

Öl über Bleistift auf Holz, gerahmt in schlichter Naturholzleiste [Originalrahmen];
unsigniert
undatiert [um 1942]

Größe: 67,5 x 53 cm (mit Rahmen) bzw. 64,8 x 50,5 cm (ohne Rahmen)

€ 1.800,-

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Titel
o.T. – Stillleben mit roter Lilie in hoher Glasvase, verschiedenfarbigen Gläsern und Schachteln auf Glasplatte (Tisch?) vor Fenster mit Vorhang; verso auf kleinem Etikett handschriftlich mit der Werknummer bezeichnet „C.R. 347“

Zustand
Platte an den Rändern und Ecken etwas bestoßen (unter Rahmung nicht sichtbar); im Bereich unten rechts (etwas oberhalb der stehenden roten Schachtel) kleine oberflächliche Kratzer und kleine Verluste der Farbschicht; im unteren Bereich (bei den beiden roten Schachteln) wenige kleine Verluste der Farbschicht
verso etwas berieben; verso in den Randbereichen montierungsbedingt leichte Bereibungen an der Platte; verso mittig in Weiß nummeriert „100“[?], sowie darüber nochmals in Rot ebenso nummeriert, sowie darunter in Weiß mit Größenangaben „50 x 65“

Provenienz
Privatbesitz (Frankreich)

 

 

„Aller Ursprung dieses malerischen Werkes liegt in der Persönlichkeit Gowas. Eine Persönlichkeit, die offenen Herzens allem Menschlichen aufgeschlossen ist. Ein Künstler, der ein unermüdlicher Arbeiter ist: gewissenhaft, rein, voller schöpferischer Ideale. Hinzu kommt der Techniker in ihm, der seine Mittel beherrscht. Alles dessen bedarf es, um ein großer Künstler zu sein.“
(Frans Masereel)

Der aus Hamburg stammende Hermann (Henry) Gowa wirkte anfangs vor allem als Bühnenbildner an verschiedenen Theatern und bekam für seine Entwürfe Anerkennung und lobende Kritiken. Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialsten emigrierte er bereits im Mai 1933 aufgrund seiner jüdischen Abstammung nach Frankreich. Anfangs lebte er für kurze Zeit in Paris, zog aber 1934 weiter nach Nizza, wo er sich in der Folge vor allem als Maler und nicht mehr so stark als Bühnenbildner betätigte. Gowa engagierte sich in Künstlerverbänden, u.a. war er 1935 Mitbegründer der „Union des peintres pour la défense de l’art moderne“ und hatte engen Kontakt zu anderen Künstlern. Nach dem Kriegsausbruch wurde er bis Juli 1940 u.a. in Les Milles inhaftiert, wo er sich mit Walter Hasenclever anfreundete. Nach seiner Entlassung unterhielt er Kontakte zur Résistance und war in Emigrantenverbänden aktiv. 1943 floh er in die Berge der Provence und hielt sich mit Wissen des dortigen Bürgermeisters bis April 1944 in Le Broc verborgen. 1945 war er kurzzeitig in Paris ansässig, bevor er 1946 die Stelle als Leiter der neugegründeten Schule für Kunst und Handwerk in Saarbrücken antrat. Die Verständigung zwischen Frankreich und Deutschland war für ihn ein Hauptanliegen, für welches er als Dozent, Rundfunkautor, Künstler und Ausstellungsmacher arbeitete.

Vorliegendes Stillleben ist zwar undatiert, lässt sich aber aufgrund der Malweise und auch wegen der, vom Künstler selbst vergebenen Werksnummer (347) in die Zeit um 1942 einordnen. Die Internierung in Les Milles lag hinter ihm, er arbeitete wieder und engagierte sich in Künstler- wie auch Emigrantenverbänden. Eine verhältnismäßig kurze Ruhephase für Gowa, in welcher insbesondere Landschaften aber eben auch Stillleben entstanden. Wenige Zeit später, im Herbst 1943, erfolgte dann eine weitere Zäsur, als er kriegsbedingt in die Berge der Haute Provence floh und sich vor allem bei Le Broc versteckt hielt.

Vielleicht handelt es sich bei diesem Motiv um einen Ausschnitt aus Henry Gowas damaligem Atelier. Das Kolorit ist locker, hell und lässt dabei deutlich den Einfluss französischer Malerei – und vielleicht auch der Einfluss der französischen Landschaft – auf Gowa erkennen.
Wir blicken hier in einer leichten Schräge auf ein Arrangement auf einer Glasplatte. Zentral im Bild steht eine hohe gläserne Vase mit einer einzelnen roten Lilie. Daneben sind vier verschiedenfarbige Gläser, sowie zwei rote Schachteln, die eine stehend und die andere liegend, angeordnet. Es sind hier vor allem die Formen der Objekte – das Kantige der Schachteln und das Runde der Gläser – und auch die farblichen Spiegelungen in der Glasplatte, die hervorzuheben sind und malerisch voll überzeugen.
Ein besonderes Detail besteht nun noch in dem blauen Teil des Vorhangs. Gowa hat hier in die nasse Farbe muschel-, bzw. fächerartige Strukturen eingeritzt und dem Vorhang so gewisse Struktur gegeben. Der Hintergrund an sich gewinnt dadurch an Lebendigkeit und das Werk in Gänze wirkt durch dieses kleine, feine Detail deutlich moderner, da hierdurch eine wohlüberlegte, subtile Mehrdeutigkeit in die Komposition gelegt wird. Diese an Strukturen aus der Natur erinnernden Formen des Vorhangs lassen mitunter an Arbeiten, v.a. die Frottagen, von Max Ernst denken, dessen damaliges Schaffen für den frankophilen Gowa sicherlich bekannt gewesen sein dürfte.

Insgesamt ein herausragendes expressiv realistisches Stillleben, welches in der für den Künstler wohl ärgsten Lebensphase voller Not und Ungewiss entstand und sicherlich im gesamten Werk des Künstlers von exponierter Bedeutung ist. Im allgemeinen Kontext darf dieses Stillleben zweifelsohne als ein beeindruckendes Beispiel für moderne Kunst im französischen Exil gesehen werden.

 

 

Zu Hermann (Henry) Gowa (25.05.1902 Hamburg – 23.05.1990 München):
Maler, Zeichner, Bühnenbildner, Kurator; Sohn des Großhandelskaufmanns Siegmund Gowa und dessen Frau Therese, geb. Pollack; Abitur in Hamburg; während der Schulzeit gründet er einen Schülertheater; 1922-25 Studium der Philosophie, Kunst-, Literatur- und Theatergeschichte an der Universität München (bei Heinrich Wölfflin, Arthur Kutscher), sowie Studium der Malerei und Zeichnung an der Schule von Hans Hofmann, sowie Zeichenstudium an der Schule von Heinrich Knirr; während dieser frühen Zeit ist Gowa stark von Cézanne beeinflusst; 1925-33 Bühnenbildner an verschiedenen Theatern in München, Frankfurt, Halberstadt, Leipzig, Berlin, Schwerin; im Mai 1933 Emigration nach Paris und 1934 Weiterreise nach Nizza; 1935 Mitbegründer der „Union des peintres pour la Défense de l´art moderne“; 1938 zusammen mit Louis und Anna Valray und Marcel Millet Gründung eines Marionettentheaters in Nizza; 1939 Internierung im Fort Carré d´Antibes und später in Les Milles; in Les Milles Bekanntschaft mit u.a. Walter Hasenclever; Juli 1940 Entlassung aus Internierung; Heirat mit der Malerin Annie Roussel; Kontakt zur Résistance und Engagement für Emigrantenvereinigungen; im September 1943 flieht Gowa in die Berge der Haute Provence und hält sich bis April 1944 bei Le Broc versteckt; nach dem Zweiten Weltkrieg setzt er sich für eine Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich ein; nach 1945 erreichen seine Werke einen höheren Grad an Abstraktion und verlassen mitunter das Gegenständliche ganz; 1946-51 Leiter der Staatlichen Schule für Kunst in Saarbrücken; 1951-53 freischaffend in Paris; 1951 Teilnahme am Theaterkongress der UNESCO; ab 1954 Leiter der Offenbacher Werkkunstschule, sowie Dozent an der Universität Köln und der Akademie Stuttgart; 1957 Tätigkeit als Generalkommissar für die deutsche Abteilung der Biennale in Paris (Pavillon de Marsan, Louvre); 1964 gestaltet er Lithographien für Marie Luise Kaschnitzs „Ich lebe“ (Offenbach: Kumm-Verlag); ab 1965 freischaffend in Berlin; aufgrund von Diabetes wurden ihm beide Beine amputiert; 1985 gesundheitsbedingt verzog er nach München

Ausstellungen (Auswahl)
1931, erste Einzelausstellung in der Galerie Schames (Frankfurt a.M.)
1931, „10 Jahre europäisches Theater“, Wiesbaden
1934, 1977 Beteiligungen am „Salon d’Automne“, Paris
1937, Salon de Noël des Beaux-Arts, Nizza
1941, Salon de Printemps, Nizza
1942, Einzelausstellung in der Galerie Muratore, Nizza
1946, Einzelausstellung in der Galerie Marc Vidal, Paris
1948, Einzelausstellung im Europahaus in Saarbrücken
1949, Schule für Kunst und Handwerk im Pavillon de Marsan des Louvre, Paris
1949, Amerikahaus, Frankfurt a.M.
1951, Einzelausstellung im Haus der Elsässischen Kunst, Strasbourg
1953, Einzelausstellung in der Galerie Le Temps Retrouvé, Menton
1954, Einzelausstellung im Maison de France, Hamburg
1954, Einzelausstellung im Völkerkundemuseum, Hamburg
1957, Einzelausstellung in der Werkkunstschule Offenbach a.M.
1960, Einzelausstellung in der Galerie Herbinet, Paris
1964, Einzelausstellung im Frankfurter Kunstkabinett – Hanna Bekker vom Rath
1966, Einzelausstellung in der Galerie Offene Tür, Berlin
1973, Einzelausstellung in der Galerie Heller Engel, Berlin
1982, Einzelausstellung in der Hochschule für Gestaltung, Offenbach a.M. & Haus am Lützowplatz, Berlin
1987, Retrospektive im Deutschen Werkbund Hessen, Frankfurt a.M.
1987, Galerie Le Ver-Vert, Vichy
1988, Retrospektive in der Bayerischen Landesbank, München
2013, Gutshaus Steglitz, Berlin (zusammen mit Beatrice Schneiderreit)

Mitgliedschaften
„Union des peintres pour la Défense de l´art moderne“; „Deutscher Werkbund“; „Berufsverband Bildender Künstler“ (BBK)

Preise / Ehrungen
1966 Bundesverdienstkreuz

Werke Gowas befinden sich u.a. in folgenden Sammlungen: Bauhaus-Archiv, Berlin; Jüdisches Museum, Frankfurt a.M. [künstlerischer Nachlass]; Schloss Wahn / Theaterwissenschaftliche Sammlung, Köln; Deutsche Nationalbibliothek, Leipzig; Deutsches Buch- und Schriftmuseum, Leipzig; Sammlung Dr. Maike Bruhns, Hamburg; Sammlung Memoria – Thomas B. Schumann

Literatur
Familie Kay Rump (Hrsg.) (2013): Der neue Rump. Lexikon der bildenden Künstler Hamburgs (überarbeitet von Maike Bruhns); Wachholtz; Neumünster – Hamburg; S. 153-154
Bruhns, Maike (2001): Kunst in der Krise (Band 2); Dölling und Galitz; Hamburg; S.161-163
Bruhns, Maike (2007): Geflohen aus Deutschland. Hamburger Künstler im Exil 1933-1945; Edition Temmen; Bremen; S.65-66
Görke, Sylvia: Henry Gowa, in: Allgemeines Künstlerlexikon (AKL), Onlineversion
Galerie Piorr (1984): H. Henry Gowa. Texte und Kritiken; Hamburg
Werkkunstschule Offenbach a.M. (1957): Gowa. Malerei – Graphik [Katalog zur Ausstellung]; o.V.
Frankfurter Kunstkabinett – Hanna Bekker vom Rath (1964): Gowa [Katalog zur Ausstellung]; Offenbach: Max Dorn Presse
Hochschule für Gestaltung, Offenbach a.M. / Förderkreis Kulturzentrum e.V. Haus am Lützowplatz, Berlin (1982): H. Henry Gowa. Bild und Bühnenbild [Katalog zur Ausstellung], o.V.
Cartier, Jean-Albert (1956): Hermann-Henri Gowa. 1902 [Documents. Ecole Allemande No. 1], Genéve: Éditions Pierre Cailler