E R N S T P I C K A R D T (01.08.1876 Berlin – 07.05.1931 ebd.)
Weitere Berliner Künstler
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(wohl) Blick vom Hamburger Jonas-Hafen auf die Kehrwiederspitze (1927)
Öl auf Leinwand, Keilrahmen, gerahmt
unten rechts signiert „E. Pickardt“
unten rechts datiert „1927“
Größe: 80,5 x 66,2 cm (ohne Rahmen) bzw. 92,5 x 79 (mit Rahmen)
verkauft
Titel
o.T. [(wohl) Blick vom Hamburger Jonas-Hafen auf die Kehrwiederspitze]
Zustand
partiell etwas fleckig; im oberen Bereich mittig kleiner hinterlegter Leinwandschaden
Keilrahmen verso oben links nummeriert „25724“ (nachträglich gestrichen), sowie rechts daneben etwas undeutlich nummeriert „25728“ (nachträglich gestrichen), sowie verso oben rechts nummeriert „29472“ [Es dürfte sich hierbei wohl um die Losnummern von Auktionshäusern handeln.]
Werkbeschreibung
„Erst nach seinem Tode tritt Ernst Pickardt mit einer Kollektivausstellung in der Galerie J. Casper so hervor, daß sein solides Können, seine phrasenlose Arbeitsweise und sein nicht ungewöhnliches, aber kultiviertes Talent zur Geltung kommen. Max J. Friedländer hat dem Katalog der Ausstellung ein glänzend formuliertes, zeitkritisch erweitertes Vorwort geschrieben. In normalen Zeiten wäre Pickardt einer jener zuverlässigen Maler gewesen, an den sich kaum jemals enttäuschtem Vertrauen der Auftraggeber und der Käufer wendet. Am besten sind die Landschaften. Für sie ist es ein entschiedenes Lob, wenn der Betrachter ohne Blicke in den Katalog feststellt, daß sie Ansichten aus Paris, Rom oder Hamburg wiedergeben, daß die allgemeine Atmosphäre der Städte getroffen ist. Diese stille und bescheidene Malerei verdient post festum einen Achtungserfolg.“ [1]
So lautet das posthume Urteil in der Zeitschrift „Kunst und Künstler“ über Ernst Pickardts Schaffen. Zeitlebens wurden bei Pickardt vor allem dessen Bildnisse und Porträts hervorgehoben, wobei gerade seine Druckgrafiken von Beethoven und Goethe von besonderer Qualität sind. Umso interessanter ist es nun, dass obiges Zitat gerade die Landschaften betont und explizit wird hierbei auch Hamburg als motivgebender Ort angeführt.
Das hier vorliegende Gemälde zeigt gerade eine solche Ansicht aus Hamburg und konkret blickt der Betrachter auf die Kehrwiederspitze wobei der Betrachter sich wohl am Jonas-Hafen befinden dürfte. Der vordere und mittlere Bildbereich ist angefüllt mit anliegenden Booten, während etwas dahinter kleine Dampfschiffe fahren und ganz im rechten Hintergrund auch größere Schiffe sich zeigen.
Der gewählte Blickwinkel und der damit verbundene Bildaufbau sind etwas ungewöhnlich, da gerade dem Vordergrund mit dem leeren Boot links und dem Holzgerüst rechts viel Aufmerksamkeit gegeben wird. Die Stadtsilhouette ist dagegen nur schwach erkennbar und tritt damit deutlich gegenüber der vom Künstler erlebten Stimmung zurück.
Ganz in diesem kompositorischen Sinne nehmen Himmel und Wasser zusammengenommen den größten Bildteil ein. Und bezeichnenderweise haben beide Partien einen deutlichen Drang zu Grautönen, was dem ganzen Motiv die (noch) ruhige Stimmung eines frühen Tages verleiht. Nur leicht scheint die Sonne sich durch die Wolken zu kämpfen, bevor etwas später dann die Stadt in eifriges Treiben verfallen wird.
Der in Berlin bei Paul Meyerheim und Max Koner ausgebildete Pickardt hatte stets eine impressionistische Ausdrucksweise, doch wird gerade bei diesem verhältnismäßig späten Gemälde deutlich wie schwierig eine solche begriffliche Kategorisierung sein kann. Denn rein von der Malweise – der breite, schnelle Pinselstrich, der mitunter pastose Farbauftrag –, ließe sich das Werk ebenso gut als eigenständige, expressiv realistische Komposition betrachten [2].
Von dem Künstler tauchen zumeist nur Druckgrafiken auf, während Gemälde an sich schon eine Seltenheit sind. Innerhalb des Schaffens von Ernst Pickardt ist dann diese Hamburg-Ansicht sicherlich eine der herausragenden, ungemein freien, expressiven Arbeiten.
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[1] K. Sch. (1931): Ernst Pickardt, in: Kunst und Künstler. Illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe, Heft 10, Jg. 1931, S. 404.
[2] In den Sinn kommen mag hier vor allem auch die (behelfsmäßige) Begrifflichkeit des „expressiven Impressionismus“, welche vor allem für Lovis Corinth, aber auch für Max Slevogt und in Teilen für Max Liebermann, Anwendung findet.
Zu Ernst Max Pickardt (01.08.1876 Berlin – 07.05.1931 ebd.):
Maler, Grafiker; entstammte einer jüdischen Familie des Bürgertums, Sohn des Kaufmanns Hermann Pickardt und dessen Ehefrau Doris, geb. Hermann; anfangs Studium der Medizin; später auf Ermutigung von Paul Meyerheim Studium der Malerei an der Kunstakademie Berlin (bei Paul Meyerheim und Max Koner); Studienreisen nach u.a. Frankreich, Italien, London, Wien; am 20. September 1917 Heirat in Berlin mit der Bildhauerin Leonie Martha Lehfeld (1892-1964), Tochter des Rechtsanwaltes und Justizrates Robert Lehfeld und dessen Ehefrau Berta Alice, geb. Friedländer; 1918 Illustrationen für den Band „Das Königliche Polizeipräsidium in Berlin“ (Berlin: A. Jandorf’s Verlag); um 1908 wohnte Pickardt in der Bernburgerstraße 28, etwas später noch in der Von-der-Heydt-Str.8 (Berlin-Tiergarten, um 1914), sowie zuletzt in der Kurfürstenstraße 126
Ernst Pickardt schuf v.a. Landschaften, Stillleben und Porträts in impressionistischer Auffassung. Besonders seine Druckgrafiken erfreuten sich großer Beliebtheit und diese wurden deutschlandweit angeboten von mehreren Kunsthandlungen und Galerien (u.a. Kunstverlag Ludwig Möller (Lübeck), Galerie Commeter (Hamburg)).
Ausstellungen
1903, 1910-12, 1916 Münchner Jahresausstellungen im Glaspalast
vertreten auf den „Großen Berliner Kunstausstellungen“
Dezember 1911 „Weihnachtsausstellung“ des Kunstvereins in Hamburg
1914 Beteiligung an der „Ersten Internationalen Graphischen Kunst-Ausstellung Leipzig“
1931 Gedenkausstellung in der Galerie J. Casper (Berlin) [das Vorwort für den Katalog verfasste Max J. Friedländer]
1936 „Plastische Bildnisse, Aquarelle und Zeichnungen“, Verein Berliner Künstler
1983 „Künstler unter sich. Bildnisse von Malern, Bildhauern und Graphikern 1900-1930“, Saalbau-Galerie, Darmstadt
Sammlungen
Beethoven-Haus, Bonn
Sprengel-Museum, Hannover
LETTER-Stiftung, Köln
Museum für angewandte Kunst, Wien
Graphische Sammlung der ETH Zürich
Dr. Martin Luther King, Jr. Library, San Jose, USA
Literatur
Donath, Adolph: Der Kunstwanderer (Juli-Augustheft), Jg. 1931, S. 358
Pless, Will (1932): Ernst Pickardt zum Gedächtnis, in: Menorah. Jüdisches Familienblatt für Wissenschaft, Kunst und Literatur; 10. Jg.; Nr. 9-10 (Sept.-Okt.); S. 362
Walk, Joseph (1988): Kurzbiographien zur Geschichte der Juden (hrsg. v. Leo Baeck Institute, Jerusalem): 1918–1945; München et al.: K.G. Saur; S. 295
K. Sch. (1931): Ernst Pickardt, in: Kunst und Künstler. Illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe, Heft 10, Jg. 1931, S. 404
„Allgemeines Künstlerlexikon“, Onlineversion, Künstler-ID: 00101655